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Lockruf der Linken: Gregor Gysi hätte nichts gegen Rot-Rot-Grün.

© dpa

Rot-Rot-Grün: Die linke Mehrheit im Bundestag könnte regieren

Die Deutschlandkarte ist von CDU- und CSU-Erststimmen geschwärzt, doch die knappe Mehrheit wählte links. Rechnerisch ist damit auch eine Regierung ohne Union möglich. Hat ein rot-rot-grünes Bündnis Chancen?

Sie könnten, wenn sie wollten. 319 Abgeordnete aus dem linken Lager hätten im Bundestag genug Stimmen, um Peer Steinbrück zum Kanzler zu wählen. Die schwarze Deutschlandkarte, gefärbt von den gewonnenen Direktmandaten der Unionskandidaten, mag am Tag drei nach der Wahl noch immer manchen Christdemokraten zu Euphorieschüben verhelfen – bei der Suche nach einem Koalitionspartner nutzt sie nichts. Die Mehrheit hat, wenn auch knapp, links gewählt: 42,7 Prozent der Wähler votierten rot oder rot oder grün, 41,5 Prozent für die Union.

Na klar, das ist das Problem mit dem Versprechen. „Wir wären Hasardeure, wenn wir mit der Linkspartei in ihrem jetzigen Zustand eine Koalition bilden würden“, hatte Steinbrück ganz kurz vor der Wahl gesagt. Zu groß seien die Differenzen in wichtigen Politikfeldern.

Sind die Unterschieden zu den Linken nach der Wahl immer noch so groß?

Ob die Gegensätze nach der Wahl noch immer so grundlegend sind, darüber kann man reden. Steinbrück dürfte zum Beispiel daran gedacht haben, dass die Linke den Rückzug Deutschlands aus der Nato fordert. In der SPD ist das Misstrauen gegenüber der Nato gewiss geringer. Doch seit dem Streit um den Nato-Doppelbeschluss (zwischen dem Steinbrück-Vorbild Helmut Schmidt und dem starken linken Flügel seiner Partei) in den frühen 80er Jahren und Gerhard Schröders Absage an die Nato-Vormacht USA vor dem Irakkrieg 2002 dürften die Gemeinsamkeiten zwischen Sozialdemokraten und Linken hier größer sein als die Gegensätze.

Bei der anderen großen außenpolitischen Frage – der nach dem Umgang mit der Euro-Krise – war Steinbrück im Wahlkampf nicht ganz so klar und kantig, wie die Leute glauben sollten: Euro-Bonds hielt er für problematisch – dagegen aber war er nicht.

Für rot-rot-grün wären innenpolitische Fragen entscheidend

Für die Aufladung des Projekts linke Mehrheit mit Sinn und politischer Moral dürften innenpolitische Fragen viel wichtiger sein. Mehr Geld für den Staat: Das Wahlversprechen verbindet SPD, Linke und Grüne. Gemeinsam könnten sie es einlösen. Von der Wiege – oder Kinderkrippe auf Staatskosten – über die Bildung über „gute“ Arbeit für einen flächendeckenden Mindestlohn und eine Krankenversorgung aus einer kollektiven „Bürgerversicherung“ bis hin zur Mindestrente hätten Sozialdemokraten, Linke und Grüne Punkt für Punkt bloß über das „Und wie viel wollt ihr?“ miteinander zu verhandeln, nicht aber über ein „Ob überhaupt“.

Strategisch werden die Vormänner der SPD die Lage etwas anders bewerten als die linken Kollegen. Die Erfahrung der Linken besagt, dass zu viel Pragmatismus und Bravheit Stimmen kostet: siehe Berlin, siehe Brandenburg. Die SPD indes würde den Kanzler stellen. Sie würde – was für eine Tat! – Königin Angela auf dem Höhepunkt ihrer Macht und zugleich Mehrheitslosigkeit ablösen. Das erinnert an den Polit-Macho aus Hannover, der 1998 den scheinbar einbetonierten Giganten aus der Pfalz kippte.

Ausgeschlossen ist eine rot-rot-grüne Koalition nicht

Sollte der Hormonpegel der Steinbrücks, Gabriels und Steinmeiers überhaupt noch Schröder’sche Höhen erreichen, müssen sie sich mit dem Projekt Rot-Rot-Grün ein bisschen ranhalten: Dessen noch immer messbare Mehrheit schwindet sachte wie der Wert des Euro in der Dauerkrise. Vor fünfzehn Jahren hatte das „rot-grüne Projekt“ des Duos Schröder/Fischer eine Mehrheit von 47,6 Prozent der Wählerstimmen, die PDS nicht eingerechnet. Das rot-grüne Remake, das Steinbrück und Jürgen Trittin gepredigt haben, wollten am Sonntag bloß noch 34,1 Prozent.

In einer Zeit, in der Gefühle in der Politik so wichtig sind, spricht wenig für eine Betrachtung der Lage aus der „Coole-Sau“-Perspektive – noch. Da ist, auch für das gewählt habende Publikum, die Magie der von CDU-Erststimmen geschwärzten Deutschlandkarte: Alle für Angie, die Große! Käme es plötzlich zu Rot-Rot-Grün, müssten scheinbar eiskalte Genossen in den Talkshows dauerempörte Moderatoren ertragen, die ihnen ständig mit „gebrochenen Versprechungen“ kommen.

Ausgeschlossen ist das alles nicht.

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