zum Hauptinhalt
Manfred Weber, Spitzenkandidat von konservativen Parteien

© ALEX HALADA / AFP

Regierungschefs entscheiden, nicht die Wähler: Der Schwindel mit den EU-Spitzenkandidaten

Die EU-Bürger wählen das Europaparlament, aber nicht den Kommissionschef. Das zeigt, wie zweifelhaft der demokratische Gehalt der Abstimmung ist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Harald Schumann

Eigentlich ist es kaum möglich, als EU-Kommissar populär zu werden. Allzu widersprüchlich ist die Kakofonie auf der europäischen Bühne. Doch Margrethe Vestager, seit 2014 EU-Kommissarin für die Wettbewerbsaufsicht, ist das Kunststück gelungen. Sie hat sich so konsequent mit Kartellbrüdern und Monopolisten angelegt, dass sie wie keine andere Popularität gewonnen hat.

Allein bei Google trieb sie 4,4 Milliarden Euro ein. Außerdem ist sie gegen die Regierungen in Irland und den Niederlanden vorgegangen, weil diese für die Weltkonzerne die Steuerflucht organisieren. Darum muss Apple 13 Milliarden Euro nachzahlen.

Auch vor Emmanuel Macron und Angela Merkel schreckte die streitbare Dänin nicht zurück. Gegen deren Willen hat sie die geplante Fusion der Eisenbahnsparten von Alstom und Siemens untersagt, und das zu Recht. Andernfalls hätten Verbraucher und Steuerzahler teuer bezahlen müssen.

So verfügt Vestager genau darüber, was eine gute Europäerin auszeichnet: Sie kämpft für das europäische Gemeinwohl, ungeachtet nationaler Interessen. Darum wäre sie die ideale Kandidatin für den Chefposten der EU-Kommission. Wenn die EU-Bürger sie wählen könnten, dann hätte sie die besten Chancen auf die Nachfolge von Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsidentin.

Regierungschefs entscheiden

Doch diese Wahl haben die Bürger nicht. Wenn sie in Kürze das neue EU-Parlament wählen, dann entscheiden nicht sie, wer die Kommission führen wird, sondern zuallererst die Regierungschefs der Mitgliedsländer. Der dänische Premier Rasmussen hat aber schon gesagt, er werde Vestager nicht erlauben, ihren bisherigen Job fortzuführen. Europas Beste wird also ihr Amt und die Unterstützung der heimischen Regierung verlieren – keine gute Voraussetzung für das Präsidentenamt.

Schon dieser Umstand demonstriert, wie zweifelhaft der demokratische Gehalt der EU-Wahl nach wie vor ist. Gewiss, viele Kandidaten sprechen von einer „Schicksalswahl“ für das Wohl und Wehe Europas. Und ja, wer die Anti-Europäer in die Schranken weisen will, sollte unbedingt wählen gehen. Aber gerade weil so viel auf dem Spiel steht, wäre Ehrlichkeit das oberste Gebot.

Doch alle Fraktionsgruppen des EU-Parlaments mit Ausnahme der Liberalen schicken sogenannte „Spitzenkandidaten“ ins Rennen. Das suggeriert, diese hätten – bei Erzielung der Parlamentsmehrheit – Anspruch auf den Chefposten der Kommission. Aber das ist eine grobe Irreführung.

Tatsächlich heißt es ausdrücklich im EU-Vertrag, allein der Europäische Rat der nationalen Regierungschefs „schlägt einen Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Kommission vor“ und soll das Ergebnis der Wahlen lediglich „berücksichtigen“. Diesen Kandidaten kann das Parlament zwar mit Mehrheit ablehnen. Aber einen anderen benennen darf es nicht. Merkel und ihre Kollegen sitzen folglich am längeren Hebel. Nicht die Wahlen, sondern die Machtspiele der Regierungschefs entscheiden, wer die nächste EU-Kommission führt.

Wahrer Charakter des EU-Parlaments

Das ist zwar ärgerlich, aber es entspricht dem wahren Charakter des Europäischen Parlaments. Denn in Wahrheit handelt es sich nur um eine Versammlung von Delegationen nationaler Parteien, die ausschließlich über nationale Listen bestimmt werden. Die große Mehrheit der EU-Bürger kann die angeblichen Spitzenkandidaten gar nicht wählen.

Manfred Weber, der Möchtegern-Präsident der Konservativen, ist den meisten Bürgern anderer EU-Staaten nicht mal bekannt. Genauso verhält es sich mit dem Niederländer Frans Timmermans, der als „Spitze“ für die Sozialdemokraten antritt. Nirgendwo in Deutschland wirbt die SPD mit seinem Namen.

Das wäre anders, wenn die Kandidaten tatsächlich EU-weit um eine Mehrheit für eine europäische Partei kämpfen müssten, so wie es Frankreichs Präsident gefordert hat. Doch das EU-Parlament hat das selbst abgelehnt. Auch darum weist Macron den Amtsanspruch der falschen Spitzenkandidaten zurück. In der Folge hat Merkels Wunschkandidat Weber wohl auch dann keine Chance, wenn die Konservativen die stärkste Fraktion im Parlament stellen. Schließlich hat Merkel Macron offen brüskiert, als sie seine Reformvorschläge für die EU einfach ignorierte. Genauso wenig wird Merkel einem Kandidaten zustimmen, der Macron zugeneigt ist.

Vielleicht wird so mit der List der Geschichte am Ende doch Margrethe Vestager die Kompromiss- Präsidentin, die auch das Parlament nicht ablehnen kann. Mit Demokratie hätte aber auch dieses Ergebnis wenig zu tun.

Zur Startseite