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Bis heute hat sich noch keine Regierung gebildet.

© Michael Kappeler/ dpa

Regierungsbildung in Deutschland: Das Parlament, das wir verdient haben

Warum über das Phlegma der Entscheider aufregen, die sich nicht trauen? Wir haben doch genau das bekommen, was wir gewählt haben. Ein Kommentar.

Diese Regierungsbildung dauert viel zu lange! Die unfähige deutsche Politik lähmt Europa, Deutschland ist jetzt, nicht mehr wirtschaftlich, aber politisch der kranke Mann des Kontinents. So lauten viele der Kommentare in den Medien – der Tagesspiegel ist keine Ausnahme – im Hinblick auf den schleppenden Verlauf der Vor-Koalitionsgespräche, die man vor allem in der SPD Sondierungen nennt, damit auch ja kein Parteimitglied sich von der eigenen Führung überrannt fühlt. Und manche Parteiführer benehmen sich ja auch wie Diven! Christian Lindner zickt, weil er sich nicht ausreichend umworben fühlt, vor allem von der Bundeskanzlerin, von der man ja weiß, dass sie weder eine gute Verkäuferin ihrer Ideen ist noch gar eine überzeugende Werberin für aufregende Innovationen – es sei denn solche, die ihr spontan einfallen (offene Grenze, Atomausstieg).

Aber warum regen wir uns eigentlich über das Phlegma der Entscheider auf, die sich nicht trauen? Wir haben doch genau bekommen, was wir gewollt haben – geliefert wurde, wie bestellt. Die Wähler haben den alten Volksparteien das Lebenslicht entweder reduziert oder ganz ausgeblasen. Die SPD hat seit dem Jahre 1998 zehn Millionen Wähler verloren, die CDU/CSU fühlt sich heute am Abend einer Bundestagswahl bei Prozentquoten als Sieger, für die sie sich in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts geschämt hätte. Das war freilich eine Zeit, in der sie auf dem rechten Parteienflügel das ganze politische Kleinzeug in sich aufgesogen und absorbiert hatte.

Den Volksparteien fehlt der Markenkern

Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen argumentiert gerne, dass die Christenunion von heute nicht nur darunter leide, dass ihr das einstige Profil abhandengekommen sei, sondern dass sie vor allem Opfer der hohen Sterblichkeit unter ihrer Kernwählergruppe geworden ist – das waren vor allem ältere Menschen, und dass man mit dem Etikett „christlich“ heute keine Massen mehr mobilisiert, haben vor der CDU schon die evangelische und die katholische Kirche gemerkt.

Fakt ist, dass weder Christdemokraten noch Sozialdemokraten noch einen richtig knackigen Markenkern haben. Allenfalls über die Bürgerversicherung und den Familiennachzug von nur subsidiär geduldeten Geflüchteten streiten sie sich. Ansonsten sind für die harten Auseinandersetzungen die alten und neuen kleinen Parteien zuständig, wir nähern uns, was die Buntheit des Parteienspektrums angeht, wieder der Frühzeit der Bundesrepublik Deutschland.

Wir haben erneut eine stramm rechte Partei, die AfD, die sich nach aufmerksamer Marktbeobachtung programmatische Schwerpunkte heraussucht. Erst war es der Euro, der Deutschland angeblich den Wohlstand kostet. Dann die Flüchtlinge, die Angela Merkel instrumentalisiere, um die Deutschen „umzuvolken“. Mit nationalen Sprüchen geht die AfD auf Wählerfang, aber es ist nicht sicher, ob FDP-Chef Christian Lindner, Vormann einer wieder erwachten kleineren Partei, ihr nicht diesen unique selling point streitig machen will. Linksliberal, wie zu Gerhard Baums Zeiten, ist diese FDP jedenfalls nicht.

Kompromissfähig ist nur, wer Stimmen verloren hat

Dann haben wir noch „Die Linke“, in deren Erbgut sowohl die PdS als auch kleine Reste der SED und noch frühere Relikte stecken. Diese Partei ist zuverlässig gegen Krieg, gegen Rüstung, gegen Amerika, für mehr Sozialstaat. Die Grünen dürfen wir auch nicht vergessen. Das revolutionäre Element der Gründerzeit ist schon lange von den gepflegten Rasenflächen um die Häuschen und Wohnungen in den bürgerlichen Stadtrandbezirken überwachsen worden, kleine Erinnerungen an die alte Aufmüpfigkeit werden jedoch gerade aus Deutschlands Norden vorsichtig implementiert.

Wir haben, alles in allem, genau das Parlament, das wir uns gewählt und das wir somit verdient haben. Jede Menge Parteien, die so viele Prinzipien haben, dass sie im Grunde kompromissunfähig sind. Deren Regierungsteilhabe scheint somit ausgeschlossen. Wenn man sich aber bei einem Stimmenanteil von zehn Prozent gebärdet, als habe man 100 von 100 erreicht, sollte man besser in einer Diktatur antreten als in einer Demokratie.

Demütig und damit kompromiss- und lernfähig sind nur jene Parteien, die im Vergleich zur Wahl 2013 Sitze verloren haben. Die wissen jetzt nämlich, dass sie irgendetwas falsch gemacht haben – bei Union und Sozialdemokraten zusammen sind das immerhin 105 Mandate weniger. Es ist also nicht absurd, wenn sie aus ihren Fehlern lernen, denn sie wissen wenigstens, dass sie welche gemacht haben.

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