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Proteste in Brasilien.

© AFP

Proteste in Brasilien: Das Volk hat recht

Trotz der Reformversprechen von Präsidentin Roussef gehen die Proteste in Brasilien unvermindert weiter. Dabei geht es vor allem darum, dass sich die Regierenden nicht für die Regierten interessieren. Das ist kein brasilianisches Problem, das ist eine globale Plage.

Brasilien bebt. Jeden Tag ein bisschen mehr, ein Ende ist nicht abzusehen, und am Ende wird eine neue Ordnung stehen, und zwar nicht nur für Brasilien, sondern für die moderne Gesellschaft. Es ist ein Stück Weltgeschichte, das da gerade im fünftgrößten Land der Erde zur Vorführung gebracht wird. Ein Volk erhebt sich gegen die Diktatur, und es wird nicht lockerlassen, bis diese Diktatur besiegt ist.

Herrscht in Brasilien eine Diktatur?

In diesem Land, das von einer Präsidentin regiert wird, die gegen die Militärs gekämpft und für ihre Überzeugung im Gefängnis gesessen hat, die sich dem Kampf gegen die Armut verschrieben hat und von den Armen gewählt worden ist?

Natürlich herrscht in Brasilien eine Diktatur. Aber es ist keine Diktatur im klassischen Sinne. Die großen, die klassischen Diktatoren gibt es nicht mehr, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen. Aber der greise Robert Mugabe in Simbabwe oder der verrückte Kim in Nordkorea stehen nicht für den Rest der Welt. Der arabische Frühling hat Gaddafi und Mubarak besiegt, Castros Kubas hat längst kapituliert und sich an US-amerikanische Investoren verkauft. Mugabe und Kim werden folgen. Die moderne Informationsgesellschaft ist erhaben gegen die klassische Form der Unterdrückung.

Die neue Unterdrückung ist subtiler, sie ist an keine Weltanschauung gebunden. Die neue Unterdrückung basiert auf der Teilung der Welt in drei Klassen: auf der einen Seite die Armen. Auf der anderen die Reichen. Und dazwischen, als neue, als dritte Klasse, die Nomenklatura aus Wirtschaft und Politik. Die Makler, die den Wohlstand verteilen. Die die Weichen stellen für die Zukunft und sich wenig für die Allgemeinheit interessieren und umso mehr für das eigene Wohl.

Brasilien erhebt sich in diesen Tagen gegen eine Diktatur der Arroganz, der Ignoranz, der Menschenfeindlichkeit. Gegen ein System, dem es egal ist, dass es seinem Volk keine angemessene Bildung ermöglicht und kein funktionierendes Gesundheitssystem. Gegen ein System, das sich nicht darum schert, dass sich längst eine Parallelgesellschaft etabliert hat mit einer Parallelregierung, die gebildet wird von Drogenhändlern und Schutzgelderpressern. Gegen ein System, das sich vom Rest der Welt feiern lassen will für seine Fußballpaläste und dem es egal ist, wer sie bezahlt.

Aber panem et circenses, dieses in der Antike bewährte Modell – es funktioniert in der Moderne nicht mehr.

Natürlich sind Plündereien und Randale nicht zu akzeptieren, aber die Plünderer und Randalierer sind in dramatischer Minderheit und stehen nicht für dieses aufbegehrende Brasilien. Es ist das gemeine Volk der regierten Brasilianer, das sich erhebt. Und das Volk hat recht.

Wie sehr sich das regierende Brasilien abgewendet hat von denen, die es regiert, zeigt die Dreistigkeit, ausgerechnet zum Confed-Cup, dieser Generalprobe für die Fußball-Weltmeisterschaft, die Busfahrpreise zu erhöhen. Die Regierenden haben sich anfangs lustig gemacht über die Proteste der Regierten, es ging ja nur um 20 Centavos. Mal abgesehen davon, dass 20 Centavos für die Regierten einen anderen Stellenwert haben als für die Regierenden: Es geht nicht um 20 Centavos.

Es geht darum, dass gerade 0,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Bildung investiert werden. Es geht darum, dass Milliardenbeträge verschleudert werden für Fußballstadien in Brasilia, Cuiabá oder Manaus, die den Regierenden als Weihestätten dienen und die im Alltag keiner braucht, weil der Fußball in Brasilia, Cuiabá oder Manaus keine Rolle spielt. Es geht darum, dass es in der Wirtschaft keinen Wettbewerb gibt, dass Kartelle den Markt beherrschen und sich ihre Gewinne von der Allgemeinheit bezahlen lassen.

Und vor allem geht es darum, dass sich die Regierenden nicht für die Regierten interessieren. Das ist kein brasilianisches Problem, das ist eine globale Plage. Brasilien hat den Anfang gemacht, und es wird anderen Menschen Mut machen, in Argentinien oder China oder Nigeria.

Brasilien wird, Brasilien darf nicht allein bleiben.

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