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POSITIONEN: Gleich, gleicher, am ungleichsten

Ein Skandal zum Auftakt der Paralympics in dieser Woche: Weshalb werden behinderte Athleten beim Medaillengewinn von der Deutschen Sporthilfe mit einer Geld-Prämie abgespeist, die unter einem Drittel des Betrages für ihre nicht behinderten Kollegen liegt?

Der Ausspruch „Alle Menschen sind gleich, aber manche sind gleicher!“ gibt die Empfindungen der Sportlerinnen und Sportler mit Behinderung allgemein und der Mitglieder des deutschen Paralympics-Teams im Besonderen treffend wieder. Denn: Nicht nur die sechs Frauen und 14 Männer, die als blinde, gelähmte oder amputierte Athleten ab diesem Freitag Deutschland bei den olympischen Winterspielen der behinderten Menschen in Vancouver vertreten, klagen zu Recht über die Ungleichbehandlung gegenüber den nicht behinderten Olympiateilnehmern.

Trotz allseits bewunderter Leistungen erleben Menschen mit Handicaps immer noch nicht die Aufmerksamkeit, Würdigung und Belohnung der Leistungen, die sie unter erheblich mehr Schwierigkeiten erbringen als jene ohne Behinderung. „Ich habe gesehen, da ist Leistungswille, da ist Leistungsfreude und da ist eine gute Stimmung im sportlichen Wettbewerb – das ist schlicht schön!“, sagte Bundespräsident Horst Köhler nach seinem Besuch der Paralympics 2006 in Turin. Mit ihren so gelobten Leistungen erreichten die Frauen und Männer in Turin acht Gold-, fünf Silber- und fünf Bronze-Medaillen und bescherten Deutschland den zweiten Platz in der Nationenwertung.

Weshalb aber werden diese Athleten dann beim Medaillengewinn von der Deutschen Sporthilfe mit einer Geld-Prämie abgespeist, die sogar unter einem Drittel des Betrages für ihre nicht behinderten Kolleginnen und Kollegen liegt? Kennen die Sporthilfe-Funktionäre nicht diesen Satz in Artikel 3 des Deutschen Grundgesetzes: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“? Es bedurfte viele Jahre Überzeugungsarbeit, bis die Medien die Notwendigkeit der Wahrnehmung sportlicher Leistungen Gelähmter, gehörloser, geistig behinderter, amputierter, blinder oder stark sehbeeinträchtigter Menschen anerkannten. Lange Zeit wurde das Thema ignoriert oder bagatellisiert. Noch 1989, im 40. Jubiläumsjahr der Bundesrepublik, behandelte nur das Zweite Deutsche Fernsehen die Paralympics in Seoul – in einer halbstündigen Gesundheitssendung. Alle anderen Medien übergingen gar das sportliche Ereignis.

Daran hat sich erfreulicherweise viel geändert. Inzwischen berichten zumindest alle überregionalen Zeitungen mit eigenen Reportern ausführlich von dem Ereignis. Ansonsten bleiben die nicht minder spannenden Wettkämpfe der Menschen mit Behinderung meist unbeachtet.

16 Jahre nach der Aufnahme des Benachteiligungsverbots der Menschen wegen ihrer Behinderung in Artikel 3 des Grundgesetzes und ein Jahr nach Inkrafttreten der UN-Konvention über die Menschenrechte behinderter Menschen in Deutschland ist es höchste Zeit für den immer wieder in Sonntagsreden von vielen Seiten versprochenen Paradigmenwechsel in der Behandlung gehandicapter Menschen auf allen Gebieten! Für den Sport bedeutet dies: von nun an keine Benachteiligung dieser Athleten mehr. Jeder behinderte Sportler hat für seine Medaille dasselbe Geld verdient wie ein nicht behinderter Sportler.

Er anerkenne sehr wohl, dass die Deutsche Sporthilfe im Gegensatz zu früher seit 2004 Prämien zahle und die Behindertensportler unterstütze, sagt der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes, Friedhelm Julius Beucher. „Ich kann aber nicht vor lauter Dankbarkeit auf dem Boden liegen bleiben“, betont der frühere Vorsitzende des Sportausschusses des Bundestages im selben Atemzug.

Nein, das müssen weder er noch die Frauen und Männer mit Behinderung. Bundespräsident Horst Köhler sagte über sie bei seinen Besuchen der Paralympics in Athen und Turin : „Diese Menschen haben mit ihren Leistungen jegliche Unterstützung verdient!“

Wenn die Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Sporthilfe diese Erkenntnis auch weiterhin ignorieren, müsste der Bundespräsident mit der Autorität seiner Person und seines höchsten Amtes im Staat die Verwirklichung seiner Worte erreichen. Er braucht die Unverbesserlichen nur auf das grundgesetzlich garantierte Benachteiligungsverbot von Menschen wegen ihrer Behinderung und die in der UN-Behindertenrechtskonvention völkerrechtlich verbindlich vorgeschriebene gleichberechtigte Teilhabe dieser Menschen in Arbeit, Beruf und Gesellschaft hinzuweisen.

Der Autor, von Geburt an blind, ist freier Journalist. Er lebt in Frankfurt am Main.

Keyvan Dahesch

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