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Es ehrt Angela Merkel, dass sie bei ihrem Besuch einiger Überschwemmungsgebiete auf Gummistiefel verzichtete. Demonstrativ unscheinbar zeigte sie sich. Denn sie ahnte wohl, dass jede Geste eine zu viel sein kann.

© dpa

Merkel und die Flut: Leadership in Gummistiefeln

Politik während des Hochwassers: Schon bald also wird Merkel wieder den Euro retten und Steinbrück sein Kompetenzteam loben. Wer Kanzler bleiben oder werden will, muss eben mehr sein als ein Krisenmanager.

Wenn Dämme brechen, Hurrikane wüten, Erdbeben und Tsunamis ganze Landstriche verwüsten, dann tritt die Katastrophe plötzlich ein, sie ist brutal und oft auch tödlich. Das Hochwasser dagegen, das weite Teile Süd- und Ostdeutschlands überflutet, ist langsam entstanden durch dauerhaft große Niederschlagsmengen. Man konnte zusehen, wie die Pegel anstiegen. Man konnte sich vorbereiten, hatte genug Zeit, um den Teppich aus dem Erdgeschoss in den ersten Stock zu bringen.

Das nimmt dem Leid, das die Fluten verursachen, nichts von seiner existenziellen Wucht. Menschen müssen ihre Häuser verlassen, ihr Hab und Gut vermodert, die Ernte fällt aus. Der Alltag wird von Improvisationsnotwendigkeiten überschwemmt. Aber Gefahr für Leib und Leben besteht nicht. Das mag für die Betroffenen ein schwacher Trost sein. Doch er sollte bedacht werden, wann immer Analogien herangezogen werden.

In der Stunde der Not, so heißt es oft, zeigt sich der wahre Charakter eines Menschen. Deshalb sind Katastrophen gerade für Politiker besondere Bewährungsproben. Für gewöhnlich kennt sie der Bürger in eher bürokratischer Manier. Kabinettssitzungen müssen geleitet, Gipfelkompromisse gefunden, Enquetekommissionen geleitet werden. Dabei menschelt es meist wenig. Umso lehrreicher wird es, wenn Außerordentliches geschieht. Helmut Schmidt war im Februar 1962 als Senator für die Hamburger Polizeibehörde zuständig. Als er sich mit der Sturmflut konfrontiert sah, handelte er ohne Rücksicht auf legale Restriktionen. „Ich habe das Grundgesetz nicht angeguckt in jenen Tagen“, sagte er später. Das Image als Krisenmanager blieb an ihm haften.

Auch für das Gegenteil gibt es Beispiele. Der hilf- und ratlose George W. Bush etwa, wie er am 11. September 2001 an Bord der „Air Force One“ kreuz und quer durch die USA geflogen wurde. Derselbe Bush, wie er Ende August 2005 viel zu spät und viel zu kraftlos auf die Verheerungen durch Hurrikan Katrina reagierte. Eine japanische Regierung, von der sich die Bevölkerung im März 2011 nach den schweren Erdbeben und dem Atom-Desaster von Fukushima allein gelassen fühlte. Und schließlich ein Edmund Stoiber, der im August 2002 als Kanzlerkandidat der Union in den Fluten der Elbe gegen Amtsinhaber Gerhard Schröder schlichtweg baden ging.

Seitdem weiß jeder: „Leadership in Gummistiefeln“ muss sein. Gummistiefel sind gewissermaßen das moderne Pendant zur Peitsche, mit der der ägyptische Pharao Xerxes einst aufs Wasser geschlagen haben soll, um den Meeresgott Poseidon dafür zu bestrafen, dass dieser ihm durch ein Unwetter die Brücken über die Dardanellen zerstört hatte.

Es ehrt Angela Merkel, dass sie bei ihrem Besuch einiger Überschwemmungsgebiete auf Gummistiefel verzichtete. Demonstrativ unscheinbar zeigte sie sich. Denn sie ahnte wohl, dass jede Geste eine zu viel sein kann. Zu frisch sind die Erinnerungen an 2002, als dass ihre Visite nicht von Anfang an vom Verdacht begleitet wurde, dreieinhalb Monate vor der Bundestagswahl durch Empathie mit den Flutopfern politisch punkten zu wollen. Merkel musste sich unterinszenieren, um nicht überinterpretiert zu werden. Das gelang. Weitaus schwerer hatte es ihr Herausforderer, Peer Steinbrück. Ihm blieb nur, die traditionelle Spargelfahrt der SPD auf dem Wannsee abzusagen.

Für sie wie für ihn heißt ab jetzt freilich die Devise – Zurückhaltung. Das Wetter wird sich bessern, die Lage beruhigen. Und dass man auf eine Katastrophe auch überreagieren kann, bewies zuletzt John McCain, der republikanische Gegenkandidat zu Barack Obama im Präsidentschaftswahljahr 2008. Unmittelbar nach Ausbruch der Finanzkrise brach McCain abrupt seine Kampagne ab und plädierte für eine überparteiliche Krisensitzung. Obama konterte kühl mit dem legendären Satz: „Als Präsident muss man in der Lage sein, sich um mehr als eine Sache gleichzeitig zu kümmern.“ Auch das brachte ihm den Sieg.

Schon bald also wird Merkel wieder den Euro retten und Steinbrück sein Kompetenzteam loben. Wer Kanzler bleiben oder werden will, muss eben mehr sein als ein Krisenmanager.

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