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Migrant an der Grenze im Süden der USA

© Eduardo Jaramillo/dpa

Menschenrechte: Freiheit und Gleichheit sind kein Luxus

Menschenrechte werden ständig verletzt, sind aber auch unter Begründungsdruck. Doch wie sieht es da aus, wo sie fehlen? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Vor fast genau einem Monat wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 70 Jahre alt. „Alle Menschen sind frei und gleich geboren“, so beginnt dieser großartige Text, den 48 Staaten am 10. Dezember 1948 in Paris verabschiedeten und der zum ersten Mal in der Geschichte die unveräußerlichen, angeborenen Rechte aller Menschen auf der ganzen Erde in den Blick nahm, nicht nur die von Männern, von Sklavenbesitzern, von Weißen. 

Er war Ausdruck einer gemeinsamen Überzeugung, die die Grenzen von Religionszugehörigkeiten, Kulturen, Ethnien und Geschlechtern sprengte. Wie weltumspannend die Erklärung ist und bleibt – im deutschen Wort „allgemein“ kommt das viel weniger zum Ausdruck als im englischen oder französischen „universal“, „universelle“ –, wurde von Anfang an von interessierter Seite, den Mächtigen der Welt, infrage gestellt.

Im Weltsüden weiß jeder Bauer, wie wichtig Menschenrechte sind

Man redete und redet sie als rein westlich oder als liberales Programm herunter, als jedenfalls nur begrenzt begründbaren Wertekatalog. Der Vize-Chef des Deutschen Instituts für Menschenrechte hat dazu einen einfachen Lackmustest vorgeschlagen. Frauenaktivistinnen in Asien und Bauern in Afrika, so Manfred Windfuhr kürzlich im Tagesspiegel-Interview, würden die Erklärung von 1948 auch sicher „heute ohne jeden Abstrich unterschreiben“. Sie sind es schließlich, die wissen, was es heißt, als Frau nicht „frei und gleich“ wie ein Mann zu sein, oder mit Gewalt von einem Stück Land vertrieben zu werden, dessen Bestellung der eigenen Familie seit je das Überleben sicherte.

Speziell die Wirklichkeit afrikanischer Bauern können wir uns im reichen Norden der Welt leicht aus dem Gesichtsfeld halten – und müssen das auch, wenn wir uns nicht davon beschämen lassen wollen, dass Landgrabbing und Klimaflucht im Süden einiges mit dem Lebensstil und dem Rohstoffhunger unseres Nordens zu tun haben. Aber die Vorstellung, was passiert, wenn Menschenrechte verweigert werden, überzeugt womöglich wirklich besser von ihrer Notwendigkeit, als es die Erinnerung an ihre feierliche Proklamation in Paris vor 70 Jahren könnte.

Im Jubiläumsjahr 2018 erschien auf deutsch der Roman der syrischen Schriftstellerin Dima Wannous, „Die Verängstigten“. Sein Thema ist genau das: die Wüste, die aus einer Gesellschaft wird, wenn die Rechte, die vor 70 Jahren in New York formuliert und in Paris verkündet wurden, fehlen oder ständig bedroht sind. Wenn alle Bürgerinnen und Bürger in unaufhörlicher Angst leben müssen, dass ein falsches Wort, die falsche Liebe einen das Leben kosten kann, oder, schlimmer noch, unmenschliche Qual zur Folge haben kann, die zwar das Leben belässt, aber die Person zerstört.

Alle leben in unaufhörlicher Angst

Gegen die reine und grenzenlose Gewalt gibt es kein Mittel und keine Berufungsmöglichkeit, sie kann einen aus heiterstem Himmel treffen. Der Freund der Sprechstundenhilfe Laila wird nach einer Woche Folter wahnsinnig. Sein Verbrechen: Laila hat seinetwegen die Avancen eines anderen Mannes zurückgewiesen, der Sohn einer ranghöheren Regime-Charge ist.

Der Vater der Ich-Erzählerin Sulaima, ein Arzt, geht daran zugrunde, dass er vor dem Massaker von Hama 1982 nach Damaskus floh, statt zu helfen. Seine Frau wirft ihm seinen angeblichen Verrat bis zuletzt vor, der gemeinsame Sohn „verschwindet“, und Mutter und Schwester beten für seinen Tod, weil sie wissen, dass Assads Schergen ihm Schlimmeres bereiten könnten. Sulaima ist schwer depressiv, Albträume suchen sie nachts heim, und sie braucht Medikamente gegen ihre Panikattacken. Selbst im Exil in Beirut kommt sie nicht zur Ruhe, das Gefühl, nie und nirgends sicher zu sein, ist Teil des Ichs.

Der Roman beschreibt drastisch, was Menschenrechte im Alltag jedes Menschen bedeuten, welche Ungeheuerlichkeiten folgen, wo es sie nicht gibt. Es ist nicht der erste. Die deutsche Schriftstellerin Herta Müller bekam vor zehn Jahren den Nobelpreis, weil sie dem Leben und Leiden unter der Diktatur – in ihrem Fall die rumänische Ceausescus – Sprache gab. Aber es lohnt sich, immer wieder solche Bücher zu lesen, um zu verstehen, dass Menschenrechte keine Schönwetterveranstaltung realitätsferner Utopisten sind, die man, wenn’s hart auf hart kommt, eben mal beiseiteschieben muss. Hart auf hart kommt es eben, wenn dies geschieht.

Oder wie die Mütter und Väter der Erklärung von 1948 formulierten: Wem diese Rechte vorenthalten werden, hat nur noch die Gewalt als letztes Mittel. Menschenrechte sind kein Luxus. Syrien liefert den Beweis seit acht Kriegsjahren.

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