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Verschleiß im Kniegelenk macht vielen Menschen zu schaffen. Doch was bringen Gelenkspiegelungen langfristig?

© dpa/Sebastian Kahnert

Lesermeinung: "Die Aussage entbehrt jeglicher Evidenz."

Tagesspiegelautor Hartmut Wewetzer schrieb vergangenen Monat, dass eine Gelenkspiegelung bei dauerhaftem Knieschmerz kaum Vorteile bringt. Hier antworten ihm Dr. med. Matthias Flury und Dr. med. Amelie Stöhr der Gesellschaft für Arthroskopie und Gelenkchirurgie (AGA).

Sehr geehrte Redaktion, sehr geehrter Herr Dr. Wewetzer,

bezugnehmend auf ihren Artikel vom 21.06.2015 "Gelenkspiegelung bringt kaum Vorteile"  möchten wir im Namen der AGA ( Deutschsprachige Gesellschaft für Arthroskopie und  Gelenkchirurgie ), der DKG (Deutsche Kniegesellschaft) und des BVASK (Berufsverband für Arthroskopie e.V.) einige Aussagen korrigieren. Die Überschrift ihres Artikels ist irreführend und suggeriert dem Leser, dass Gelenkspiegelung allgemein keine Vorteile bringt. Dadurch wird unnötig Unsicherheit bei zukünftigen Patienten geschürt. Die Zahl 413.000 bezieht sich irreführend auf alle in Deutschland erfolgten Kniearthroskopien ohne Differenzierung hinsichtlich der Operationsindikation. In der klinischen Praxis stellt die Arthroskopie bei Patienten mit Kniearthrose jedoch nur einen geringen Anteil an allen OP-Indikationen (5-20 %; Umfrage bei AGA-Instruktoren). Der Titel müsste deshalb korrekterweise "Gelenkspiegelung bringt bei fortgeschrittener Kniearthrose kaum Vorteile" lauten. 

Durch die Entwicklung der Arthroskopie wurde die gesamte Kniechirurgie revolutioniert und große offene Operationen durch minimal invasive Verfahren ersetzt. Davon profitieren heutzutage vor allem die Patienten. Die Arthroskopie ermöglicht eine schonende Beurteilung des Gelenkes. Sie wird hauptsächlich in der wiederherstellenden Kniechirurgie (Kreuzbandersatz, Meniskusnaht, Knorpeltherapie) sowie zur Knorpelbeurteilung vor komplexen Eingriffen (z.B. Beinachsenkorrektur zum Gelenkerhalt) eingesetzt. Durch ein geringeres Operationstrauma, weniger Schmerzen postoperativ und geringere Infektions- und Komplikationsraten bei arthroskopisch durchgeführten Eingriffen, konnten die Ergebnisse der Kniechirurgie in den letzten Jahren signifikant verbessert werden. 

Die im British Medical Journal (BMJ) publizierte Metaanalyse von Thorlund beschreibt eine signifikante Schmerzlinderung zwischen 3 und 6 Monaten nach Kniearthroskopie im Vergleich zur konservativen Therapie. Eine Funktionsverbesserung konnte nicht festgestellt werden und eine Analyse langfristiger Patientenverläufe ist nicht erfolgt. Ferner wurde der Einfluss von Schmerzmitteln auf den postoperativen Schmerz und die Gelenkfunktion in beiden Gruppen nicht beschrieben. Somit sind die Empfehlungen aus der Thorlund-Publikation aufgrund der möglichen Bias zu relativieren und erlauben keine Übertragung auf die gesamte Gruppe betroffener Patienten. Eine Metaanalyse von Spahn (KSSTA 2013) zeigte hingegen bei 60% der Patienten nach arthroskopischem Debridement bei Kniearthrose exzellente und gute Ergebnisse 5 Jahre postoperativ. Bei korrekter Diagnostik und differenzierter Indikationsstellung können Patienten in den Frühstadien einer Kniearthrose durchaus von einer Kniearthroskopie profitieren. Positive Ergebnisse werden in der Literatur vor allem für die Entfernung von instabilen Meniskus- und Knorpelanteilen, Narbengewebe, freien Gelenkkörpern und entzündlich veränderter Gelenkschleimhaut beschrieben.

Als positive Prediktoren gelten ferner ein Alter unter 60 Jahren, eine gerade Beinachse und eine Symptomdauer unter 6 Monaten. Dagegen werden bei fortgeschrittener Kniearthrose, Kniesteife, Knochenödemen im MRT und auch bei O- oder X-Beinen schlechte Ergebnisse nach Kniearthroskopie beobachtet (Mayr 2013, Int.Orthop.). Eine deutsche Arbeitsgruppe (Petersen 2015, Dt. Ärzteblatt) hat kürzlich in einer systematischen Literaturrecherche vergleichbare Ergebnisse nach arthroskopischer Innenmeniskusteilentfernung und nicht operativer Therapie gefunden. Eine Studie berichtete über weniger Schmerzen und Symptome in der Gruppe nach arthroskopischer partieller Meniskektomie und 21-30 % aller konservativ behandelten Patienten scheinen nach fehlgeschlagener physiotherapeutischer Behandlung doch von einer Arthroskopie zu  profitieren. Thorlund et al. beziehen in die Datenerhebung zur Feststellung möglicher Komplikationen nach Kniearthroskopie zwei prospektiv randomisierte Studien (Katz, Sihvonen) und 7 Beobachtungsstudien ein. Die erfolgte Hochrechnung der Komplikationsraten kann deshalb nicht als allgemeingültig angesehen werden. Die Komplikationsrate bei arthroskopischen Knieeingriffen ist generell niedrig und wird in der Fachliteratur zwischen 0,27%  und 3,6% (Hagino 2014, AOTS, Salzler 2014, AJSM) angegeben. Die Operationsdauer zählt als wesentliche Ursache für postoperative Komplikationen wie Thrombose, Embolie und Infekt (Reistad 2006, KS STA). Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer symptomatischen  postoperativen tiefen Venenthrombose liegt bei 0,25% und einer Lungenembolie bei 0,17%  (Maletis 2012 , JBJS ). Generell kann es bei Entlastung eines Beines zur Bildung von Blutgerinnseln und respektive einer Lungenembolie mit möglicher Todesfolge kommen.

In  Europa  wird deshalb eine medikamentöse Prophylaxe bis zur  erreichten Vollbelastung empfohlen. Die Wahrscheinlichkeit nach einer Kniearthroskopie einen Infekt zu erleiden, wird zwischen 0,08 und 0,13% angegeben (Hagino 2014, AOTS) und ist damit deutlich niedriger als bei offenen Knieeingriffen. Ein Infektionsrisiko besteht ebenso bei Injektionen in das Gelenk unter konservativer Therapie und ist damit kein spezielles Risiko der Arthroskopie.  

Die Aussage, dass bei 1/1000 Arthroskopien ein Todesfall auftreten soll, stützt sich auf Hochrechnungen einzelner Autorenstudien und entbehrt jeglicher Evidenz. Die arthroskopische Technik bietet die Möglichkeit, minimal-invasiv und komplikationsarm Erkrankungen und Verletzungen der Gelenke zu behandeln. Auch bei verschleißbedingten Schäden ist die Arthroskopie im Sinne einer Stufentherapie nach Versagen anderer Behandlungsmaßnahmen eine gute Option. Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen und Überlegungen ist somit die Hauptaussage Ihres Artikels in dieser Form nicht haltbar. Bei differenzierter Patientenselektion und korrekter Technik ist die Arthroskopie ein bewährtes, sicheres und effizientes Verfahren von dem tagtäglich Patienten weltweit profitieren.

Dr. med. Matthias Flury, AGA Präsident   Dr.  med.  Amelie Stöhr, AGA Pressesprecherin

Matthias Flury, Amelie Stöhr

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