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Kontrapunkt: Putin und seine deutschen Komplizen  

Was hat der deutsche Atomausstieg mit Putins politischer Stärke zu tun? Nichts? Doch, sagt Malte Lehming. Unser Atomausstieg bedeutet für Russlands Wirtschaft Stärkung in schwierigen Zeiten.

Russland ist keine lupenreine Demokratie. Doch weil die Deutschen aus der Atomkraft aussteigen, brauchen sie bald noch mehr Erdgas von Gazprom. Das wiederum stärkt die Machthaber im Kreml. Wenn sich der Junkie über den Dealer beschwert, will er meist nur von der eigenen Charakterschwäche ablenken. Das Gebaren des Bösen soll vergessen machen, welchen Anteil an dessen Macht seine von ihm abhängigen Komplizen haben. Wann immer die Rede in Deutschland auf Russland und Wladimir Putin kommt, ballern die heimischen lupenreinen Demokraten aus vollen Rohren.

Deren Kritik ist inzwischen fast so vehement wie einst die der Springer-Presse gegenüber der Sowjetunion. So auch jetzt wieder. Im kommenden Jahr will Putin erneut Präsident werden, womöglich bleibt er es bis 2024. Und schon rattert es im Karton. Autoritär, autokratisch, neo-hegemonial, Willkürjustiz, Korruption, Journalistenermordungen, Oppositionsunterdrückung: Alles wird ausgepackt, was sich derzeit – zu Recht – über Russland und Putin sagen und beklagen lässt.

Bloß: Wer trägt maßgeblich mit dazu bei, dass Putin und die Seinen nach Herzenslaune schalten und walten können? Na klar, die Deutschen! Besser gesagt: die Atomangst der Deutschen. Noch besser: der Atomausstieg der Deutschen. Denn über kaum eine internationale energiepolitische Entscheidung haben sich die Russen in jüngster Zeit mehr gefreut. Schon jetzt werden etwa 40 Prozent unseres Gas- und gut 30 Prozent unseres Ölbedarfs aus Russland gedeckt. Und stetig steigt der Anteil der deutschen Stromerzeugung, der aus Erdgas gewonnen wird. Ab Ende des Jahres wird die neue Direktpipeline („Nord Stream“) die Importe weiter erhöhen. Immer noch bilden die Einnahmen aus den Energieexporten das Fundament der russischen Wirtschaft. Je mehr Gas die Deutschen von den Russen kaufen, desto stärker darf sich Putin fühlen.

Lesen Sie auf der 2. Seite wie der Atomausstieg die russische Wirtschaft stärkt.

Rapide beschleunigt wird diese Tendenz durch den Atomausstieg. In knapp elf Jahren muss knapp ein Viertel des gesamten deutschen Elektrizitätsbedarfs ersetzt werden. Dieses Viertel erzeugen gegenwärtig die Atomkraftwerke. Ein Teil davon lässt sich durch größere Energieeffizienz und den Ausbau der erneuerbaren Energien erwirtschaften. Aber wenn man für den großen Rest nicht auf Kohle zurückgreifen will, was umweltpolitisch unverantwortlich wäre, bleibt allein das Gas. Die Internationale Energie-Agentur (IEA) schätzt, dass die Bedeutung von Erdgas – auch durch den deutschen Atomausstieg – rasant zunimmt. Auch für die Grünen sind „hocheffiziente Ergaskraftwerke derzeit die einzige akzeptable fossile Brücke zu den erneuerbaren Energien“ (Boris Palmer und Franz Untersteller).

Kein Wunder, dass der russische Energiekonzern Gazprom bereits seine Finger weit ausstreckt, um in die deutsche Stromproduktion einzusteigen. „Um die Kernkraft durch Gaskraftwerke zu ersetzen, müssen die Investitionen jetzt beginnen“, mahnte Gazprom-Exportchef Alexander Medwedew vor kurzem in Moskau. Erste Gespräche mit Eon, RWE und der BASF-Tochter Wintershall wurden aufgenommen. Der Verbraucher zahlt für den Atomausstieg wegen der höheren Strompreise bis 2030 mehr als 30 Milliarden Euro.

So jedenfalls lautet das Ergebnis einer gemeinsamen Studie des Energiewirtschaftlichen Instituts der Universität Köln (EWI), des Prognos-Instituts und der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS) im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums. Dabei ist die Summe nur als „Untergrenze der möglichen Entwicklungen“ zu sehen. Dabei sind die Kosten das kleinere Problem. Wer sich den Luxus des Ausstiegs leisten will, bitte schön. Doch bewusst die energiepolitische Abhängigkeit von Russland zu vergrößern und mit jedem Erdgas-Rubel, den Gazprom erhält, diese autoritäre, autokratische und neo-hegemoniale Macht zu finanzieren, die man in Leitartikeln so gerne beklagt, das ist ein sehr hoher Preis. Er lehrt: Im Zwiespalt zwischen globaler Humanität und nationalem Atomausstieg hat sich Deutschland klar entschieden.

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