zum Hauptinhalt
Delegierte stimmen auf dem Landesparteitag der nordrhein-westfälischen Grünen symbolisch vor einem Papp-Atomkraftwerk und einem roten "Abschalten"-Knopf ab.

© dpa

Kontrapunkt: Der zweite Ausstieg und die Grünen

Eine Zerreißprobe für die Grünen sehen viele Beobachter in den bevorstehenden Verhandlungen zum Atomausstieg. Doch die Öko-Partei kann und sollte cool bleiben.

Nach der Einigung der Koalition folgen die Mühen der Ebene. Umweltverbände, SPD, Grüne, sogar einige CDU-Länder haben ihre Einwände formuliert - der Weg zum nationalen Energiekonsens ist mit vielen Stolpersteinen gepflastert. Die Grünen ziehen mit einem erheblichen Erfahrungsschatz in diese politische Schlacht. Zum ersten Mal sitzt zudem ein grüner Ministerpräsident am Tisch, wenn die Gespräche und Verhandlungen zwischen Bund und Ländern stattfinden.

Das Grundmuster begleitet die (vergleichsweise) kurze Geschichte der Grünen: Den bestmöglichen Kompromiss zwischen dem Wünschenswerten, also den eigenen Forderungen, und dem mit anderen Akteuren Machbaren zu finden, in diesem Fall mit der schwarz-gelben Bundesregierung. Stehen die Grünen vor einer der berühmten Zerreißproben, die den Konflikt zwischen Fundis und Realos seit den 1980er Jahren begleitet haben?

Auch diese an Tragödien reiche Geschichte wiederholt sich bloß als Farce. Mittlerweile ist es fast nur noch ein öffentliches Ritual, das zuletzt beim grün-roten Regierungswechsel in Baden-Württemberg zu besichtigen war. Wann und wo immer die Grünen ein neues Stück Verantwortung übernehmen, finden sich in den Berichten von "Tagessschau" oder "heute" vereinzelte Kronzeugen, die Verrat rufen und enttäuscht sind. Doch sogar in Baden-Württemberg, wo mit Stuttgart 21 einer der denkbar härtesten Konflikte ansteht, ist die Lektion gelernt: Wer mit dem Kopf durch die Wand will, hat das gute Gefühl, sich treu zu bleiben, erreicht aber in der Sache wenig. Wer Kompromisse sucht und findet, riskiert Enttäuschungen, hält aber das Versprechen auf reale Verbesserungen ein.

In der Debatte um den zweiten Atomausstieg haben die Grünen deshalb gute Karten. Weil Merkel nach Laufzeitverlängerung und Energiewende bei einer weiteren Rolle rückwärts die Höchststrafe, nämlich der Vertrauensverlust im eigenen Lager droht, muss sie den terminierten Ausstieg unter Dach und Fach bringen, mit oder ohne die Grünen. Das aber eröffnet allen Aufstiegsbefürwortern Spielräume, und am meisten der Öko-Partei.

Ihr größtes Pfund und Merkels größtes Manko heißt Glaubwürdigkeit. Spätestens seit der Katastrophe von Tschernobyl ist die Mehrheit der Deutschen jedenfalls in einer Frage "grün", nämlich in der Ablehnung der Atomkraft. Diese Grundkonstellation ist erstaunlich stabil und sehr belastbar ist, wie sich nach Fukushima gezeigt hat, auch das Vertrauen in die Grundsatztreue der Grünen. Dabei war der erste, der rot-grüne Atomausstieg noch eine harte Bewährungsprobe. Immerhin hatte im grünen Wahlprogramm von 1998 noch der sofortige Ausstieg gestanden, und als zwei Jahre später der im Jahr 2021 verkündet wurde, hatten die grünen Bundesminister sich in den eigenen Reihen nicht nur Freunde gemacht.

Dass dieser rot-grüne Kompromiss mehr wert war, als viele seiner Kritiker am Anfang des Jahrtausends dachten, stellte sich in den folgenden Jahren heraus, als national und international ein Revival der Atomenergie stattfand. Ihr Wiederaufstieg war beträchtlich, weil er viele Quellen hatte. Der "Spiegel" machte sich über die Windräder-Verspargelung der Landschaft ebenso lustig wie über die verstaubten Ausstiegs-Protagonisten. Die dynamische Entwicklung von China und anderen Aufsteigern setzte auf Atomenergie. Dass die Atomkraft als Brücke gebraucht werde, um die Klimazielen zu erreichen, wurde auch in Deutschland zu einem weithin akzeptierten Argument.

In dieser Frage ließen sich die Grünen (anders als bei einigen anderen Themen) auf den Zeitgeist nicht ein. Sie gelten und sind verlässliche Gegner der Atomkraft; dass man nicht "sofort" aussteigen kann, können sie heute aussprechen, ohne dass Zweifel an ihrer Haltung aufkommen. Die Bundeskanzlerin aber steht unter dem Grundverdacht, aus taktischen Motiven gehandelt zu haben, also unter Beweisnot, die nationalen Konsens wirklich zu wollen.

Eine Grundsatztreue, die mehr auf Bekenntnisse als Ergebnisse aus ist, könnten die Grünen mit Blick auf ihre eigene Geschichte lernen, zahlt sich nicht aus. Mit ihrem Hannoveraner Parteitag im Mai 1986, als die ganze Bundesrepublik noch unter den Eindruck der Katastrophe von Tschernobyl stand, verspielte sie mit fundamentalistischer Radikalität die Chance auf einen Regierungswechsel in Niedersachsen. Danach setzte sich im Dauerkonflikt zwischen Realos und Fundis der Weg fort, der zum ersten Beschluss über den Ausstieg der Atomenergie führte. Wer glaubhafte Grundsätze hat, der darf pragmatisch handeln und verhandeln.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false