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Statistisch gesehen wird der FC Bayern mit Trainer Pep Guardiola wieder Meister - trotzdem hoffen viele, dass es nicht so sein wird.

© dpa

Kolumne "Ich habe verstanden": Statistik-Spiele zwischen NSA-Skandal und Bayern München

Mit der Statistik ist es so eine Sache, findet Matthias Kalle. Zwar sammeln und zählen die Menschen gerne und immer wieder wird versucht, Ereignisse in Muster zu pressen. Doch haben Wahrscheinlichkeiten wenig mit der persönlichen Hoffnung zu tun.

Auch für Freunde der Statistik ist die neue Bundesligasaison wieder ein Fest, denn endlich wird wieder gesammelt und gezählt, wie oft ein 22,5-jähriger in der 13 Minuten einen Ball unglücklich auf den Kopf bekommen hat oder den Pfosten getroffen hat. Statistisch gesehen wird auch in dieser Saison der FC Bayern München Deutscher Meister – und trotzdem hoffen, glauben, wünschen viele, dass es eine andere Mannschaft werden wird, denn die Statistik ist das eine – Hoffnung ist etwas anderes.

Menschen seien ohnehin keine guten intuitiven Statistiker erklärt der Psychologe Daniel Kahneman in seinem spektakulären Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“. Ein Beispiel: Nehmen wir einen Mann, verschlossen, zurückhaltend. Ein guter Schüler war er, der immer schon gerne gelesen hat. Heute ist er Anfang 40 und lebt in einer großen Stadt in Deutschland. Ist er Literaturprofessor oder Finanzbeamter? Die meisten werden sagen, dass er Literaturprofessor ist, aber viel wahrscheinlicher ist es, dass er Finanzbeamter ist, denn es gibt in Deutschland mehr Finanzbeamte als Literaturprofessoren.

In der vergangenen Woche schrieb Henryk M. Broder einen Text in der „Welt“. Statistisch gesehen ist das keine Sensation, das macht Broder oft. Sein Text trug die Überschrift „Abhörprotest ist Voyeur-Alarm am Nacktbadestrand“. Für die Überschrift wird Broder nix können, statistisch gesehen machen Autoren eher selten Überschriften, darum kümmern sich die Redakteure. In dem Text geht es irgendwie darum, dass sich die Menschen über die Arbeitsweise des NSA aufregen und gleichzeitig bei Facebook alles Private freiwillig erzählen – das ist keine überraschende Erkenntnis, sie ist auch nicht sonderlich schlau, sie wurde auch unter anderem von Sascha Lobo eindrucksvoll gekontert.

NSA-Skandal: Terrorismus ist allgegenwärtig; da sollte man sich mal ein lieber bisschen ausspionieren lassen

Interessant ist allerdings Broders Rechtfertigung für das Ausspähen von Daten. Er schreibt: „Wer eine Bahn- oder Busfahrt am Stück daheim und nicht stückweise in einem Leichenschauhaus beenden möchte, der muss bereit sein, den Preis für dieses kleine Plus an Sicherheit zu bezahlen.“ Das würde bedeuten, dass die Möglichkeit, dass ich während einer Bahn- oder Busfahrt von einer Bombe in Stücke gerissen werde, besteht – es bedeutet natürlich auch, dass diese Möglichkeit seit dem 11. September 2001 gestiegen ist, denn dieses Datum wird gerne als Referenzpunkt genannt. Es bedeutet also am Ende:.

Der weltweite Terrorismus geht seit den 1990er Jahren zurück

Und das ist kein Argument – das ist falsch. Die Bush-Regierung veröffentlichte im Jahr 2007 zwar eine Statistik, die eine globale Zunahme des Terrorismus zeigte. Allerdings umfassten diese Daten auch zivile Opfer der Kriege in Afghanistan und im Irak, die man eigentlich als Bürgerkriegsopfer werten müsste. Berücksichtigt man diese Todesfälle nicht, ergibt sich ein anderes Bild, das Steven Pinker, der diese Daten für sein Buch „Gewalt“ gesammelt und ausgewertet hat, so beschreibt: „Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends, in dem das Zeitalter des Terrors begann, findet man keine ansteigende Kurve und auch keinen neuen Höchstwert, sondern eine Abnahme im Vergleich zu Spitzenwerten in den 1980er und 1970er Jahren. Der weltweite Terrorismus (...) ging in den 1990er Jahren zurück.“ Wenn Broder Angst hat, in der Bahn in die Luft zu fliegen, dann hat er auch Angst davor vom Blitz getroffen zu werden. Aber wer kann uns davor schützen?

Ich habe Angst, dass der FC Bayern Deutscher Meister wird, und diese Angst ist begründet, die Statistik besagt, dass das wahrscheinlich ist. Als Anhänger einer anderen Fußballmannschaft sehe ich darin eine große Gefahr für diesen schönen Sport und für mein persönliches Glück. Liebe NSA: Wenn ich in dieser Sache irgendwie hilfreich sein kann – ihr wisst ja, wo ihr mich findet.

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