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Barbara John war Ausländerbeauftragte des Landes Berlin. Sie ist Kolumnistin des Tagesspiegels und wurde zur Ombudsfrau für die Opfer der Zwickauer Neonazi-Zelle berufen.

© dpa

Kolumne: Ein Zwischenruf zu Einstellungen

Um rechtsextreme Gewalt zu bekämpfen, reicht es nicht aus, an der Sicherheitsarchitektur zu werkeln. Deutschland braucht neue Maßstäbe in den Beziehungen zu seinen Einwanderern.

Im April 1993 wartete der 18-jährige Stephen Lawrence in London-Eltham auf den Bus. Plötzlich wurde der dunkelhäutige Abiturient ohne jeden Anlass von fünf Jugendlichen weißer Hautfarbe rassistisch beschimpft und niedergestochen. Er starb. Erst achtzehn Jahre später, Anfang Januar 2012, wurden zwei Briten, inzwischen 35 und 36 Jahre alt, des Mordes durch neue gerichtsmedizinische Methoden überführt. Tatverdächtig waren sie zwar schon 1993. Nur damals hatten die Beamten von Scotland Yard Stephens Freunde im Visier; die weiße Jugendgang kam noch ungeschoren davon.

Nun also doch noch späte Gerechtigkeit und noch viel mehr: Der Mord an Stephen hat das Land verändert. Bereits 1999 erklärte die von der Regierung eingesetzte Untersuchungskommission, Rassismus (weiße Engländer sind anderen überlegen) sei bei Scotland Yard nicht zu übersehen, oft präsent in den Einstellungen, im Handeln, in den Strukturen. Ein Schock, dem Taten folgten: Von den 70 Empfehlungen, Gesellschaft, Schulen und Polizei betreffend, wurden 67 umgesetzt.

Wie wird sich unser Land verändern nach zwei Bombenanschlägen und zehn Morden: neun Einwanderer und eine Polizistin, alle Opfer der „Zwickauer Zelle“? Zu keinem Zeitpunkt wurden deren Mitglieder verdächtigt. Kein Polizist, kein Verfassungsschützer war ihnen auf den Fersen. Schließlich entwichen zwei Täter durch Selbstsprengung, die dritte stellte sich. Längst aber waren die Mordfälle als Altfälle abgeheftet, „cold cases“. Einzige Hoffnung: Kommissar Zufall.

Was spiegeln uns diese unfassbaren Vorgänge? Eine Gesellschaft, die sich noch längst nicht befreit hat von ihrer Überheblichkeit, ja Feindschaft gegenüber eingewanderten Mitmenschen. Polizisten und Verfassungsschützer, die sich im Zweifel gegen Einwanderer positionieren, wenn „Ausländerkriminalität“ oder rechtsradikale Mordlust mögliche Verdachtsoptionen sind. Politiker, die allein auf gut funktionierende Räderwerke in der Sicherheitsarchitektur zu setzen scheinen und die „Software“, also die Einstellungen der Akteure nicht klar genug im Blick haben. Im Raum steht das Vermächtnis der Opfer. Auch Deutschland braucht neue Maßstäbe in den Beziehungen zu seinen Einwanderern.

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