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Das neue Forum des Bundesministeriums für Verbraucherschutz soll für mehr Durchblick im Lebensmittelbereich sorgen.

© dapd

Kaufentscheidung: Der Verbraucher betrügt sich gerne selbst

Der Betrug fällt uns nicht schwer, denn als Verbraucher sind wir ganz privat und ganz unbeobachtet. Wir betrügen uns auch aus Verteidigungsgründen - und damit ein Stück vom Leben unbeschwert bleibt. Hinzu kommt ein Gefühl der Ohnmacht.

Von Anna Sauerbrey

Die vergangene Woche war eine gute Woche für den verantwortungsvollen Konsumenten. Am Mittwoch hatte Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner ein Internetportal vorgestellt, auf dem man auf Schummelprodukte der Lebensmittelindustrie aufmerksam machen kann. Frau Aigner gebührt dafür großes Lob. Sie schließt sich den Guten an, einer wachsenden Gruppe von NGOs, Journalisten und anderen Verbraucher-Ermächtigern, die nichts weniger wollen als eine zweite Epoche der Aufklärung. Die Frage ist nur, ob wir, die Verbraucher, das eigentlich auch wollen.

Je heller die Welt der konsumierbaren Dinge ausgeleuchtet wird, desto zahlreicher werden die alltäglichen Gewissensentscheidungen. In den 80er Jahren fing es damit an, dass man beim Zähneputzen an die Wasserverschwendung denken sollte. Inzwischen darf man keine Schokolade von unterbezahlten Kakaobauern mehr kaufen, keine Turnschuhe, die von chinesischen Wanderarbeitern hergestellt werden und keinen Schmuck aus Korallen. Keine Lebensmittel, die Palmfette enthalten (wegen der Mangrovenwälder), keinen Thunfisch (wegen der Überfischung der Weltmeere) und kein rotes Fleisch (dafür wird zehnmal so viel Biomasse verfüttert wie am Ende rauskommt). Der verantwortliche Verbraucher fliegt nicht (Carbon Footprint!), googelt nicht (Datenkrake!) und duscht kalt (russisches Gas!). Seit dieser Woche kann man nicht einmal mehr die morgendliche Portion Crime and Sex in der Boulevardpresse richtig genießen, weil man sich seit dem Skandal um Murdochs „News of the World“ plötzlich fragen muss, wie diese Journalisten eigentlich an all die pikanten Details aus der Intimsphäre von fremden Menschen herankommen.

Der verantwortliche Konsument von heute muss härter gesotten sein als die Spartaner und asketischer als die Kartäuser.

Das enthaltsame Leben aber liegt bekanntlich den wenigsten, wenn wir ganz ehrlich sind, geht es völlig gegen unsere Natur, gegen unseren Geiz, unseren Voyeurismus, unsere Faulheit und das wohlige Gefühl, ohne nachzudenken das zu machen, was halt alle machen. Die Psychologie des Verbrauchers ist daher geprägt von systematischem Selbstbetrug. Im Grunde unserer überforderten Herzen lassen wir uns gern betuppen und kuscheln uns wohlig in Nichtwissen. Wir glauben gern, wenn die Werbung uns erzählt, dass eine Milchschnitte so was Ähnliches ist wie Schwarzbrot mit Magerquark und sagen dem Hirn, es soll gefälligst die Klappe halten, wenn es wagt anzumerken, aber das schmecke doch eher wie Sahnetorte.

Der Betrug fällt uns nicht schwer, denn als Verbraucher sind wir ganz privat und ganz unbeobachtet. Der soziale Druck fehlt, wenn sich im Supermarkt der innere Hamlet die Bio-oder-nichtBio-Frage, also die Ein-Euro-mehroder-weniger-Frage stellt.

Wir betrügen uns auch aus Verteidigungsgründen, um wenigstens ein kleines Stückchen Restleben von den großen Fragen der Welt unbeschwert zu erhalten, wenn da draußen schon ständig Staaten pleitegehen und Kinder verhungern. Hinzu kommt ein Gefühl der Ohnmacht. Welchen Unterschied macht schon einer weniger, der Eier aus Legebatterien kauft – davon geht die Hühnerfarm auch nicht bankrott.

Doch wir sollten nicht zu schnell vor uns selbst kapitulieren. Denn ob wir es mögen oder nicht: Die großen Fragen sind in unseren kleinen Verbraucherleben verwurzelt, wir sitzen letztlich am Hebel. Es geht, wenn wir nur wollen. Viele einzelne Verbraucherentscheidungen haben in den vergangenen Jahren neue Märkte entstehen lassen. Ökostromunternehmen wurden gegründet und sind gewachsen, fairer Handel ist profitabel geworden, biologisch bewirtschaftete Flächen wachsen.

Wir sind viele. Und wir haben das Geld, das die wollen. Machen wir uns schlau. Nutzen wir unsere Macht.

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