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Man kann sich Donald Trump noch heute gut als Schulhofrowdy vorstellen ...

© Reuters

Kampf gegen Populismus: Schon Schulhofschläger müssen Verantwortung lernen - und tragen!

Ob Trump, Brexit oder Tegel-Volksentscheid: Wie Politik funktioniert, muss man selbst erfahren. So früh wie möglich. Das geht. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Sidney Gennies

Donald Trump kämmte – das weiß man seit einem Interview, das er dem Faktenmagazin „GQ“ gegeben hat – seine Haare schon in der Schule so. Das ist insofern bezeichnend, als er seither auch sonst nicht viel dazugelernt zu haben scheint. Nur dass der Pausenhofrowdy von einst nun über Massenvernichtungswaffen verfügt. Damit geht er jetzt nicht sehr verantwortungsvoll um. Aber woher soll er auch wissen, wie?

Die Schuldunfähigkeitsvermutung gilt gleichermaßen für die Wähler, die mit ihren Stimmen so verantwortungsvoll umgingen wie Trump mit seinem Twitter-Account. Denn es sind ja nicht nur Leute, deren Lebenserwartung sich im Falle eines Atomkriegs mit Nordkorea lediglich unwesentlich verkürzen würde, die Trump gewählt haben. Auch die Jungen haben ihm zugejubelt. Und dass die nun wahrlich keine Ahnung von Verantwortung haben, hat sich schon bei anderen Gelegenheiten gezeigt: Weil sie bei der Abstimmung einfach zu Hause blieben, wie beim Brexit. Oder der FDP nachlaufen, wie beim Tegel-Volksentscheid. Ja, woher sollen sie denn wissen, wie das geht mit dem selbstbestimmten Denken?

Es gehört zum Wahnsinn unserer Gesellschaft, dass junge Menschen ausgerechnet dann das Wahlrecht zugesprochen bekommen, wenn sie gerade eines der restriktivsten und autoritärsten Systeme durchlaufen haben, das in einer Demokratie gerade noch erlaubt ist: die Schule.

Über Ideen diskutiert wird in den Klassen auch offline. Die Abstimmung erfolgt über eine Software, die auf Liquid Democracy beruht.
Über Ideen diskutiert wird in den Klassen auch offline. Die Abstimmung erfolgt über eine Software, die auf Liquid Democracy beruht.

© picture alliance / dpa

Es gibt eine Frau, die das furchtbar wütend gemacht hat und die man in einem zum Büro umfunktionierten Altbau in Berlin-Mitte besuchen kann. Marina Weisband hat Erfahrung mit dem Versuch, die Demokratie zu revolutionieren. Mit der Piratenpartei zum Beispiel, deren politische Geschäftsführerin und Gesicht sie eine Zeitlang war, ist dieser Versuch spektakulär gescheitert. Eigentlich, sagt sie, eine Schande, dass nicht jeder mal bei den Piraten gewesen sein muss. Damit man mal weiß, wie das ist, Politik zu lernen. Aber weil das selbst im restriktivsten Staat niemandem zuzumuten wäre, hat sie vor etwa einem Jahr die Pilotphase eines Projektes gestartet, das „Aula“ heißt. Die Idee: Schüler, Eltern und Lehrer handeln einen Vertrag aus, der es Kindern und Jugendlichen an weiterführenden Schulen erlaubt, Regeln zu ändern und die Schule zu gestalten, sofern sie dafür Mehrheiten finden und ein Mindestquorum erreichen. Ideen werden auf einer Online-Plattform gesammelt (die auf der von den Piraten verwendeten „Liquid Democracy“ basiert) und können von allen schriftlich ergänzt oder verbessert werden. Die Software erlaubt dann eine namentliche Abstimmung. Vier Schulen machten mit.

In der Praxis zeigte sich, was man schon aus dem Irak und Afghanistan wusste. Die Implementierung demokratischer Prozesse in autoritäre System ist langwierig, aufwendig und ohne jede Garantie auf Erfolg. Die ersten sechs Monate ging an den Schulen quasi gar nichts. Außerdem hat Weisband die Erfahrung gemacht, dass die Kinder anfangs nicht wussten, was sie mit den neuen Möglichkeiten anfangen sollten.

Wie man aus dem Irak weiß, ist die Implementierung demokratischer Prozesse in ein autoritäres System extrem mühsam. Auch an der Schule.
Wie man aus dem Irak weiß, ist die Implementierung demokratischer Prozesse in ein autoritäres System extrem mühsam. Auch an der Schule.

© REUTERS

Inzwischen sind aber die ersten Abstimmungen gelaufen und einige Ideen umgesetzt. Die Bilanz – demokratietheoretisch – ist bemerkenswert. Man muss sich dazu vorstellen, wie Schüler, die sich neue Fahrradständer für den Pausenhof wünschen, plötzlich mit Plakaten und Durchsagen jene überzeugen wollen, die Sorge haben, dass dann nicht mehr genug Platz zum Spielen bleibt. Auf der Plattform lässt sich nachvollziehen, wie aus der Idee eines Schülers (Originalzitat: „Handys in der Pause, würde ich feiern, weil dann kann man vor der Prüfung noch was googlen“) ein Projekttag wurde, bei dem sich Lehrer verpflichteten, Smartphones in ihren Unterricht einzubinden – sehr zum Ärger derjenigen, die um ihr knappes Datenvolumen bangten. Aus dieser Erfahrung erwuchs gleich die nächste Idee: schulweites W-Lan.

Die Kinder haben schnell verstanden, was repräsentative Demokratie bedeutet und Süßigkeiten an ihre Mitschüler verteilt.
Die Kinder haben schnell verstanden, was repräsentative Demokratie bedeutet und Süßigkeiten an ihre Mitschüler verteilt.

© picture alliance / Wolfgang Kumm

Die Schüler müssen nicht immer selbst wählen. Sie können ihre Stimme im System delegieren. Marina Weisband hat beobachtet, dass einige Kinder schnell verstanden haben, was repräsentative Demokratie bedeutet, und großzügig Süßigkeiten an ihre Klassenkameraden verteilten.

Solche Kids sind gewappnet, Populisten zu durchschauen, realistische Erwartungen an Politik zu stellen. Die will ich am 24. September an der Wahlurne haben.

Übrigens dürfen die Schüler laut Vertrag ausdrücklich nicht über Personal entscheiden. Aber wo kämen wir auch hin, wenn man ihnen beibrächte, per Mehrheitsvotum die Leute auszutauschen, die sagen, wo’s langgeht?

Alle Kolumnen von Sidney Gennies finden Sie hier: "Alter Spalter"

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