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Hochwasser in Barby, Sachsen-Anhalt.

© dpa

Kampf gegen das Hochwasser: Die Flüsse brauchen mehr Platz

Seit der letzten Flut sind insgesamt 530 Millionen Euro in den Hochwasserschutz geflossen – doch das meiste Geld ging für Dämme und auch für Infrastrukturprojekte drauf. In Beton aber kann Wasser nicht versickern.

Dumm gelaufen, das Wasser der Donau, der Elbe, der Mulde und der Spree. Höher und höher steigen die Pegel an den großen Strömen, die als Lebensadern das Land durchmessen und sich plötzlich in Leidenslinien verwandeln. Hab und Gut vieler Menschen versinkt in stinkendem Schlamm, und damit auch Hoffnung auf idyllisches Leben an und mit dem Fluss. Bei aller offiziellen und spontanen Hilfe, bei aller Aufopferung der Helfer für den Menschen nebenan macht das gesamtdeutsche Hochwasser anno 2013 vor allem hilflos. Selbst das Wort Jahrhundertflut, gerade erst 2002 leichtgläubig entlang der Ufer gestreut, erscheint den neuen Wassermassen nicht mehr gewachsen. Nun also Jahrtausendflut. Dabei kann es schon im nächsten Jahr wieder so weit sein.

Hinter dem Horizont der eilig auf- und danach wieder abgestapelten Sandsäcke geht das Leben weiter. Wenn das Wasser abgeflossen und der Müll, der einmal Raum für Leben gestaltete, beseitigt sind, werden wieder neue Dämme errichtet – aus Einzelinteressen. Ist das nicht auch verständlich? Grimma, die mit Millionen neu aufgebaute alte Stadt in Sachsen, wollte sich nicht komplett einmauern lassen – nun ist sie wieder versunken. Anrainer wollen sich ihre Vorgärten nicht von einer Schutzwand verschatten lassen. Die Rechnung dafür übernimmt beim nächsten Hochwasser die Allgemeinheit. Auch für allein ökonomisch begründete Interessen, die Wasserstraßen zu Wasserautobahnen auszubauen, muss nun mancher Bauer zahlen, dessen Felder unversehens als Ersatz herhalten müssen. Als Ersatz für zubetonierte Auslaufflächen.

Tatkräftig stapfen erneut Politiker über Deiche (Angela Merkel immerhin nicht in Gummistiefeln) und mahnen in rhetorischen Wiederholungsschleifen mehr Raum für die Flüsse an. In Brandenburg taucht Matthias Platzeck wieder als Deichgraf auf, und das lokale Flutmanagement funktioniert von Mal zu Mal schneller und besser. Doch nach dem Aufräumen verzettelt sich kleine und große Politik mit lokalen Interessengruppen im Stellungskampf um Bauland und Schwemmflächen. Gebt den Flüssen ihre Räume? Schön und gut, aber bitte nicht bei mir!

Im elf Jahre andauernden Jahrhundert seit der letzten Flut sind insgesamt 530 Millionen Euro in den Hochwasserschutz geflossen – doch das meiste Geld ging für Dämme und auch für Infrastrukturprojekte drauf. In Beton aber kann Wasser nicht versickern. Nicht einmal ein Zehntel der Mittel wurde für die Rückverlegung von Deichen verwendet. In Brandenburg sind nach der Oderflut 1997 Überschwemmungsflächen von bis zu 6000 Hektar angekündigt worden – hier hat sich insbesondere im Oderbruch viel getan, genug aber längst nicht. In der Neuzeller Niederung etwa haben Klagen von Landwirten und Anwohnern den Hochwasserschutz aufhalten können. Das Hochwasser natürlich nicht.

Dumm gelaufen? Eigentlich nicht. Das Wasser hat sich einfach Raum genommen und dabei viele Existenzen zerstört, die nach der letzten Wasserwelle niemand mehr versichern wollte. Viele Mitmenschen haben geholfen, wo und wie lange sie konnten. Die Krisenzentren arbeiten bisher krisensicher, obwohl auch modernste Technik nicht die Entwicklung von Niederschlagsmengen und Pegelständen vorherzusagen weiß. Deutschland schaut wieder gebannt auf seine flüssigen Lebensadern. Im Strom der Zeit aber wird der Blick schnell von der Natur zurück auf die Gebäude fallen – selbst wenn sie zu nah am Wasser gebaut sind. Bis zum nächsten Drama am Deich.

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