zum Hauptinhalt
Tagesspiegel-Kolumnist Helmut Schümann.

© Karikatur: Tagesspiegel

Grundsatzurteil: Bitte (k)ein Bier

Ist Bier bekömmlich? Ein puristisches Landgericht im eigentlich sinnenfrohen Baden-Württemberg meint, nein. Unser Kolumnist Helmut Schümann hält dagegen.

Ahhh, macht der Trinker, wenn es so richtig schön zischt, gerade in diesen warmen Tagen, in denen der Sommer noch nicht vorbei ist. Man kann es sich leicht vorstellen: Der Florian sengt so etwas vom Himmel runter, die Kleidung klebt am Körper, von der Stirne heiß rinnt der Schweiß, die Brille rutscht von der Nase, die Dehydration droht. Und dann hat man endlich das Gartenlokal erreicht, ordert mit staubiger Stimme aus einer Kehle, in der kein Saft mehr ist. Und dann steht es vor einem, meistens in güldener Farbe, ein Krönlein ziert den oberen Rand. Außen perlt Wasser am Glas hinunter, weil das Glas gekühlt ist. Dieser letzte Augenblick vor dem ersten Schluck, man sollte ihn genießen. Ohne Vorfreude ist der spätere Genuss schal und flüchtig und zu schnell vergänglich, das ist wie in der Liebe. Noch ein Blick auf dieses Nass, das einem in wenigen Momenten die Kehle benetzt und die brüchige Stimme wiederbelebt und, ein paar viele Schlucke später, auch die Zunge flink und geschmeidig macht, dieses herrliche Gesöff, gleich fließt es rein in den Schlund. Man hebt an das Glas, führt es zum Mund, Ahhh! Wohl bekomm’s.

Wie tut es einem gut, so ein kühles Bier, wie leicht verdaulich es ist, und so verträglich, wenn man es nicht übertreibt und aus dem Durstlöscher keinen Durstlöschzug macht. Wie köstlich, wie bekömmlich.

Eben nicht. Das Landgericht Ravensburg, das im eigentlich hedonistisch veranlagten Baden-Württemberg tagt, hat soeben beschlossen, dass Bier nicht bekömmlich ist. Zumindest darf es nicht als solches beworben werden. Weil das Adjektiv ,bekömmlich‘ auf einen Gesundheitszustand verweise, eine Gesundheitsverbesserung suggeriere und die Gefahren des Alkohols verschweige. Gesundheitszustand? Ja, was denn sonst? Hierzu sei der weise Viktor von Scheffel zitiert: „Man spricht vom vielen Trinken stets, doch nie vom vielen Durste.“ Soll Durst etwa gesund sein, puristisches Landgericht Ravensburg? Das lernt doch schon jedes Kind, dass ungestillter Durst schwere Schreikrämpfe hervorruft. Und später, wenn das Kind zur Frau oder zum Mann gereift es, greift es auf diese Erfahrung zurück. Denn der erwachsene Mensch weiß, dass ungestillter Durst in der Wüste zur Ohnmacht führt, sogar zum Tod. Und ist nicht überall in dieser Welt trostlose Wüstenei? Auch hier in Berlin. Man sieht sie hetzen, all die ausgetrockneten Kehlen, all die ausgemergelten Körper, hin zum rettenden Glas. Und dann zischt es.

Zur Startseite