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Gewaltfantasien: Rechte Gerade für Rechtsabbieger

Ich würde niemals tätlich werden. Warum? Weil Frauen das nicht tun. Weil unsere Hirnhälften immer das Ganze sehen und bis zum bitteren Ende: blutunterlaufene Augen, gebrochene Nasen, ausgekugelte Schultern, scheußlich.

Der Mann als Mann sieht das auch, aber eher hinterher und beim Gegner. Das Erbgut, das griechische Amazonen und germanische Walküren besaßen, muss uns also irgendwie abhanden gekommen sein. Vielleicht steckt es bei den Sumatra-Orang- Utans, deren Weibchen als strenge Vegetarierinnen gelegentlich von Fleischeslüsten befallen werden und diese gerne an Sunda-Plumploris stillen, einer glotzäugigen kleinen Primatenart. Um sich eines solchen Primaten-Schmankerls zu bemächtigen, steigen die Orang-Utan-Damen mit dem strampelnden Plumplori hoch in die nächste Baumkrone und werfen ihn herunter, woraufhin er das Bewusstsein verliert. Jetzt ist es ein Leichtes, krach, seinen Schädel zu knacken und sich an Brüstchen und Schenkelchen gütlich zu tun.

Manchmal möchte ich auch in Baumkronen schaukeln und von Fleischeslüsten befallen werden. Oder wenigstens unten am Boden eine ordentliche rechte Gerade platzieren. Über Muhammad Ali war dieser Tage zu lesen, dass er wenige Boxkämpfe mit einer rechten Geraden eröffnet hat (eigentlich nur den gegen George Foreman, Kinshasa 1974, bekannt als „Rumble in the Jungle“). Bei einer rechten Geraden ist die Faust ziemlich lange in der Luft unterwegs, was beim Gegner leicht kurze linke Haken provoziert. Somit besteht die Gefahr, dass der Kampf zu Ende ist, kaum dass er richtig angefangen hat. Mit lauter rechten Geraden wäre aus dem Rotzlöffel Cassius Clay niemals Ali der Größte aller lebenden und toten und künftigen Ring-Philosophen geworden.

Allen Nicht-Boxerinnen hingegen wäre das Trainieren der rechten Geraden auch deshalb anzuraten, weil es so schwer ist, Mittelklassewagen Beulen in die Beifahrertür zu treten. Mal probiert? Weil einem so ein Rechtsabbieger-Gorilla auf dem Radweg wieder die Vorfahrt nimmt? Da muss man schon festes Schuhwerk haben und eine feste Wut im Bauch und besser kein Fahrrad zwischen den Beinen, sonst wird das nichts. Mein Traum: Ich trete zu, die Beule sitzt, der Gorilla steigt aus, und ich verpasse ihm zum Abschied eine schlanke ranke rechte Gerade. Bei „Dick und Doof“ würde mein Fuß natürlich in der Beifahrertür stecken bleiben, und die Gerade würde mir serviert. Aber mit Frauen, wenn ich mich recht entsinne, hatten es Stan Laurel und Oliver Hardy eher weniger.

Lästiger als notorische Rechtsabbieger sind nur Fußgänger der Generation Meine-Rente-habe-ich-mir-wohl-verdient. Komme ich doch neulich vom Einkaufen und nehme die letzten 3,75 Meter vor unserer Haustür den Bürgersteig. Mit dem Fahrrad. Aus-nahms-weise. Geht vor mir ein Ehepaar. Dreht sie sich um und kreischt sofort etwas von „Pack“ und duzt mich frech und hört gar nicht mehr auf. Ich bleibe ruhig, lade meine Einkäufe ab, hole kurz Luft und strecke sie mit einer sauberen rechten Geraden nieder und ihn mit einem linken Haken. Als ich mich anschicke, meine bewusstlose Beute in den ersten Stock zu schleppen, um ihre Hirnschalen zu knacken, fällt mir ein, dass Sunda-Plumploris giftig sind. Die einzigen giftigen Säugetiere der Welt! Schon sehe ich mich mit Glotzaugen und Schaum vor dem Mund in Krämpfen winden, einen Orang-Utan-Magen hatte ich noch nie, da stehen die beiden wieder auf, klopfen sich den Staub aus den Mänteln, murmeln „war nicht so gemeint“ und trollen sich. Geht doch!, rufe ich ihnen triumphierend hinterher.

Ich muss sagen, nach dem Schreiben dieses Textes geht es mir irgendwie besser.

An dieser Stelle wechseln sich ab: Elena Senft, Moritz Rinke, Christine Lemke-Matwey und Jens Mühling.

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