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Die Rentner werden mehr und die Jüngeren haben das Nachsehen?

© dpa

Generationengerechtigkeit: Rentnerdemokratie auf dem Rücken der Jungen

Deutschland wird zur Rentnerdemokratie, meint Christoph Seils. Die Große Koalition mache Politik für die Alten, die Jüngeren hätten das Nachsehen.

Als der junge CDU-Politiker Philipp Mißfelder sich vor etwa zehn Jahren Gedanken über die Generationengerechtigkeit machte, da drohte seiner politischen Karriere früh ein jähes Ende. Öffentlich hatte der damals 23-jährige JU-Vorsitzende angezweifelt, ob es sich die Solidargemeinschaft leisten könne, auch Rentnern im Alter von 85 Jahren noch künstliche Hüften und Zahnprothesen zu zahlen. Er hatte vom "Generationenverrat" gesprochen, zu dem der solidarische Generationenvertrag verkommen sei. Seiner Partei hatte er vorgeworfen, sie verspiele die Zukunft der jungen Menschen. Der Sturm der Entrüstung war gewaltig, Waschkörbeweise stapelten sich in seinem Büro die Protestbriefe, sogar eine Strafanzeige wurde gegen Mißfelder gestellt, wegen "Volksverhetzung".

Politik fürchtet die Rentner

Die Mobilisierungsfähigkeit der Rentner hat bei der Politik damals bleibenden Eindruck hinterlassen. Kein Politiker traut sich, gegen die Lobby der Alten vorzugehen, zumal diese nicht nur beim Briefeschreiben, sondern auch am Wahltag die stärksten Bataillone mobilisieren kann. Und davon profitieren vor allem CDU, CSU und SPD. Nicht nur die Hälfte aller Parteimitglieder ist mittlerweile im Rentenalter, auch jeder zweite Wähler in Deutschland wird es in ein paar Jahren sein. Die Privilegierung der Rentner rechnet sich für die großen Parteien. Die Proteste der jungen Abgeordneten hingegen verhallen. Und die von ihnen vertretenen Bürger haben das Nachsehen: Wer jetzt ins Erwerbsleben einsteigt, stellt sich schon mal darauf ein, nicht bis 63 zu arbeiten, sondern bis 70.

Die Schlagseite des Generationenvertrages durchzieht viele Politikbereiche. Dabei geht es nicht nur um die Rente mit 63 und die Mütterrente. Um die mehr als 200 Milliarden Euro also, mit denen die Steuerzahler in den kommenden 15 Jahren belastet werden – und die zum Beispiel beim Ausbau der digitalen Infrastruktur, der Familienförderung oder der Forschungsförderung fehlen werden.

Kein Geld für Kindergelderhöhung und Ausbildungsplatzgarantie

Die Universitäten sind chronisch unterfinanziert, in vielen Hörsälen gibt es nicht einmal genügend Stehplätze. Niemand regt sich groß darüber auf, dass immer noch rund zehn Prozent der jungen Menschen in Deutschland ohne Schulabschluss bleiben und jedes Jahr Hunderttausende keinen Ausbildungsplatz finden. Die Einführung einer Ausbildungsgarantie, die die SPD noch in der Opposition vehement gefordert hat, lässt auf sich warten. Dabei haben Experten längst nachgewiesen, dass es sich für den Staat langfristig lohnt, in eine gute Ausbildung von Jugendlichen zu investieren.

Und selbst wenn man Zweifel daran hat, ob es sinnvoll ist, das Kindergeld zu erhöhen, statt damit eine bessere Kinderbetreuung zu finanzieren, hat es eine gewisse Symbolik, dass die Große Koalition die Erhöhung von 2 Euro für zwei Jahre aussetzen will. Zumal sie gleichzeitig beschlossen hat, eine bereits beschlossene Senkung der Rentenversicherungsbeiträge zurückzunehmen. Im Wahlkampf hatten CDU und CSU noch eine Kindergelderhöhung um 35 Euro versprochen. Aber an dieses Versprechen fühlt sich die Union nicht gebunden. Anders als bei den Rentnern, ist der ausgeglichene Bundeshaushalt plötzlich wichtiger.
Für die Hebammen hat die Politik ebenfalls kein Geld. Sie mussten monatelang kämpfen, um zumindest für zwei Jahre das Überleben ihres Berufsstandes zu sichern. Der Kita-Ausbau geht schleppend voran: Der Bundestag hatte den Ländern im vergangenen Jahr nochmals einen Zeitaufschub gegeben, um die gesetzlich einklagbaren Betreuungsplätze bereitzustellen. Passiert ist in vielen Westkommunen bis heute nichts. Auch viele Kinderkliniken müssen schließen, weil sich die Behandlung von Kindern und Jugendlichen nicht lohnt. In der vergangenen Woche haben zahlreiche Ärzteverbände mit dem Appell "Rettet die Kinderstation" Alarm geschlagen. Dass eine Geriatriestation wegen zu geringer Einnahmen geschlossen werden musste, davon war zuletzt nichts zu lesen, auch die Orthopäden sind weiter gut im Geschäft. Wobei auffälligerweise in Deutschland dort mehr künstliche Hüften und Knie eingesetzt werden, wo mehr gut verdienende Rentner wohnen.

Parteien päppeln Silver-Ager

Die Verfechter der Rente mit 63 und der Mütterrente verweisen gerne darauf, dass der Generationenkonflikt von interessierter Seite nur herbeigeschrieben werde, um Sozialabbau zu rechtfertigen. In Wirklichkeit verlaufe die Konfliktlinie nicht zwischen Jung und Alt, sondern zwischen Arm und Reich. Nur komischerweise wird die Mütterente mit der Grundsicherung im Alter verrechnet. Ausgerechnet Mütter also, die im Alter mit besonders wenig Geld auskommen müssen, haben nichts von dem Rentengeschenk der Großen Koalition. Und auch von der Rente mit 63 profitieren vor allem solche Arbeitnehmer, die ihr ganzes Berufsleben am Schreibtisch verbracht haben. Der berühmte Dachdecker mit dem kaputten Rücken bezieht da längst eine dürftige Erwerbsminderungsrente. Diese wird im Zuge der Rentenreform auch erhöht, doch Altersarmut verhindert die Bundesregierung damit trotzdem nicht.

Es geht also der Bundesregierung nicht um Umverteilung. Stattdessen hat die Rentnerdemokratie die Nation fest im Griff. Die Parteien wissen dies und päppeln die Silver-Ager. Ein Jahrzehnt nach der Polemik des Philipp Mißfelder haben sie den Generationenverrat zum politischen Prinzip erhoben.

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