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Die Europäische Zentralbank in Frankfurt am Main.

© dpa/Boris Roessler

Geldpolitik ist nicht neutral: Die EZB muss aufhören, klimaschädliche Industrien zu stützen

Die Zentralbanken nehmen eine immer wichtigere Rolle ein. Sie müssen den sozial-ökologischen Herausforderungen unserer Zeit gerecht werden. Ein Gastbeitrag.

Daniela Gabor (University of the West of England, Bristol), Pierre Monin (Council on Economic Policies, Zürich) und Adam Tooze (Columbia University, New York) sind Wirtschaftswissenschaftler:innen. Gerhard Schick ist Vorstand des Vereins Bürgerbewegung Finanzwende, der sich für eine nachhaltige Finanzwirtschaft einsetzt und saß bis 2018 für die Grünen im Bundestag.

Im März 2020 musste die Europäische Zentralbank massiv auf den Finanzmärkten intervenieren, um eine Finanzkrise zusätzlich zur Corona-bedingten Wirtschaftskrise zu verhindern. Diese Intervention ist kein Ausnahmefall: Im Laufe des vergangenen Jahrzehnts haben sich Umfang und Art von EZB-Interventionen erheblich ausgeweitet.

Bei vielen Zentralbanken sind häufige und massive Interventionen zum Dauerzustand geworden, weil sie vor neuen Herausforderungen stehen und ein unzureichend reguliertes Finanzsystem stabilisieren müssen.

Die weitreichenden Interventionen, so nötig sie auch waren, um Preisstabilität und Finanzstabilität zu erreichen, haben jedoch Nebenwirkungen: Sie steigern die Ungleichheit und verschärfen die ökologische Krise. Es hat sich zum Beispiel gezeigt, dass CO2-intensive Unternehmen überproportional von Anleihekäufen der EZB profitieren.

All das zeigt, dass Geldpolitik nicht neutral ist - und es auch nie war. Die EZB-Politik umfasst eine Vielzahl von Entscheidungen. Aufgrund des beträchtlichen Entscheidungsspielraums der EZB muss ihre demokratische Legitimation gestärkt werden. Ihr Mandat ist angesichts der neuen Anforderungen im Kontext der sozial-ökologischen Herausforderungen genauer festzulegen.

Eine Nullemissions-Wirtschaft muss das Ziel sein

Einer der Gründe für die regelmäßige Notwendigkeit von Zentralbankinterventionen ist die inhärente Instabilität des Finanzsystems. Wer weniger Kriseninterventionen durch Zentralbanken will, muss deshalb das Finanzsystem stabilisieren und insbesondere die Schattenbanken strenger regulieren. Dies würde die Notwendigkeit von Eingriffen durch die Zentralbanken verringern.

Wir begrüßen, dass viele Zentralbanken beginnen, Klimarisiken als Teil ihres primären Mandats für Preis- und Finanzstabilität zu berücksichtigen. Aber sie sollten noch weitergehen: Die EZB muss aufhören, CO2-intensive Industrien implizit zu unterstützen.

Sie muss ihren gesamten geldpolitischen Handlungsrahmen auf den Übergang zu einer Nullemissions-Wirtschaft ausrichten. Das gilt sowohl für traditionelle Instrumente der Geldpolitik wie kurzfristige Rückkaufvereinbarungen (Repos) als auch für unkonventionelle Instrumente wie Anleihekäufe.

Die EZB sorgt für eine wachsende Ungleichheit

Die EZB implementiert ihre Geldpolitik ausschließlich durch Eingriffe an den Finanzmärkten. Dies ist nicht sehr effektiv, um Preisstabilität zu erreichen, und sorgt für wachsende Ungleichheit, weil ein solches Vorgehen die Preise von Vermögenswerten anheizt.

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Die EZB sollte dies anerkennen, Alternativen finden wie sie die Realwirtschaft auf direkterem Weg erreichen kann und Arbeitsmärkte und niedrige Einkommen stärker unterstützen. Dies ist zentral für eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung von der durch Covid-19 ausgelösten Krise.

Fiskalpolitik ist gerade wichtiger als Geldpolitik

Unser derzeitiges makrofinanzielles System erfordert für das Erreichen von Preisstabilität eine aktive Rolle der Zentralbanken auf den Finanzmärkten, insbesondere auf den Märkten für Staatsanleihen. Dadurch wird jedoch gleichzeitig der fiskalische Spielraum der Regierungen festgelegt.

Wie EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel kürzlich betonte, ist die Fiskalpolitik in der aktuellen makroökonomischen Situation wichtiger und effektiver als die Geldpolitik und sollte daher nicht durch Zentralbankentscheidungen eingeschränkt werden. Dies erfordert nicht nur eine Neugestaltung der derzeitigen europäischen Fiskalregeln, sondern auch einen neuen Koordinationsmechanismus zwischen Fiskal- und Geldpolitik mit dem Ziel, eine inklusive, stabile und nachhaltige Wirtschaft zu ermöglichen.

Die erste Strategieüberprüfung seit 17 Jahren

Die EZB ist ein zentraler Akteur in der europäischen Wirtschaftspolitik, aber ihr fehlen klare Richtlinien, wie sie die allgemeine Wirtschaftspolitik der EU unterstützen soll, im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der EU aus dem Pariser Abkommen.

Um die Legitimität der EZB bei der Verfolgung ihrer sekundären Ziele zu stärken, sollte das Europäische Parlament ein formelles Verfahren entwickeln, das die politischen Ziele der EZB-Politik jenseits des primären Mandats festlegt und priorisiert. Die EZB führt derzeit ihre erste Strategieüberprüfung seit 17 Jahren durch. Jetzt ist es an der Zeit, der EZB im Rahmen der sozial-ökologischen Transformation zu einer resilienten, gerechten und klimafreundlichen Wirtschaft eine klare Agenda zu geben.

Daniela Gabor, Adam Tooze, Gerhard Schick, Pierre Monin

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