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Die SPD hat ihr umstrittenes Mitglied bislang nicht "abgeschafft". Ein Parteiausschluss scheiterte 2011.

© p-a

Gastbeitrag: Genossen, nehmt eine Haltung zu Sarrazin ein!

Sarrazin ist ein Rassist. Er ist kein Integrationspolitiker und kein Tabubrecher. Und die SPD schweigt, anstatt Haltung anzunehmen. Aziz Bozkurt, Mitglied im Landesvorstand der Berliner SPD, ist enttäuscht über die magere Reaktion des Parteivorstands.

Wir hätten ihn stigmatisieren müssen. Mit der Macht unserer Worte. Mit der geballten Macht der ersten Riege. Unseren Abscheu verdeutlichen. Immer wieder und nicht erst, wenn wir aufgefordert werden es zu tun. Sind wir wenigen an der Basis das einzige Aufgebot unserer Partei? Oder ist das Schweigen der Spitzensozis alles, was wir als Partei zu sagen haben? Ist das unsere Antwort, die wir nach dem NSU auf den Rassismus geben? Liebe Andrea, in deiner Pressemitteilung schreibst du: „Als SPD wollen wir mit einem integrierten Konzept gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus die Kräfte der Zivilgesellschaft, der Ermittlungsbehörden und der Politik in Kommunen, Land und Bund bündeln.“ Ist diese nichtssagende technokratische, bleierne und emotionslose Sprache unsere rote Linie, unsere Haltung? Wo ist dein Zeichen einer Selbstkritik? Bewundernswert geschichtsvergessen, dass nicht einmal der Name Sarrazin auftaucht, der doch Grund der Rüge ist.

Sarrazin ist ein Rassist. Er ist weder ein Integrationspolitiker, noch ein Tabubrecher. Und meine SPD schweigt, anstatt Haltung anzunehmen. Ein UN-Ausschuss stellt fest, was einem deutschen Gericht und der SPD nicht gelang. Thilo Sarrazin verbreitet blanken Rassismus. Dabei beschwert man sich in diesem Land ja gerne, dass die angeblich überbordende Selbstgeißelung in Sachen Nazizeit bis zum Erbrechen, zu viel des Guten sei. Immer wieder wird der Ruf nach einem Schlussstrich laut. Der UN-Beschluss zeigt uns aber, dass es noch nicht ausreicht und der Brechreiz bei dem Thema eine Fehlfunktion des Organismus ist. Die Mehrheit in Deutschland vermag nicht zu erkennen, wenn Rassismus um sich greift. Trotz unserer Geschichte. Allzu gerne wird Herr S. als Klartext-„Integrationspolitiker“ inszeniert. „Das wird man doch noch sagen dürfen, denn die wollen sich doch gar nicht integrieren“ Debatten haben sich seither Bahn gebrochen. Aber Achtung, denn wer Rassismus mit Integration vermengt, wird konsequenterweise meinen, dass mangelnde Integration zu den NSU-Morden führte!
Als Sozialdemokrat tut es weh, dass es gerade meine eigene Partei nicht schafft, Rassismus zu entlarven, wenn er im Genossen-Anzug daherkommt. Der SPD-Führung ist es nicht gelungen, eine rote Linie zwischen eigenen Grundwerten und rassistischen Denkfiguren zu ziehen. Lediglich die Eugenik konnte der Parteivorsitzende der Sozialdemokratie erkennen und brandmarken. Den Rassismus aber wollte er darin nicht erkennen. Ich befürchte, dass der Hintergedanke der war, mögliche Wählerpotentiale nicht zu verschrecken. Frei nach Willy Brandt: Es hat keinen Sinn, Stimmen für die SPD zu erringen, wenn der Preis dafür ist, kein Sozialdemokrat mehr zu sein.
Es schmerzt jedes Mal, von Freunden und Bekannten nach Sarrazin und einem Rausschmiss befragt zu werden. Ein wenig verloren und ohne Spielraum findet man sich in einer Situation, für die man nicht verantwortlich ist und die man nicht einfach ändern kann. Wie verteidigt man in diesem Fall die eigene Partei? Wie erklärt man, dass ein weiteres Verfahren kein anderes Ergebnis bringen wird, weil mit den ersten beiden Verfahren Wege versperrt sind? Die Menschen wollen aber keine Verteidigung oder eine Erklärung von Verfahrensfragen. Sie wollen eine Sozialdemokratie mit Rückgrat. Und die fehlt in einigen Etagen. Das will ich nicht verteidigen. „Wieso tut ihr nichts?“ höre ich Freunde sagen. Menschen mit Migrationshintergrund und ohne. Und sie haben Recht.
Lieber Sigmar, liebe Andrea, Wahlkampf hin, Wahlkampf her, Rassismus bleibt ein Verbrechen. Auch wenn er mit sozialdemokratischem Parteibuch daherkommt. Als junger geschichtsbewusster Sozialdemokrat möchte ich nicht nur auf die Rede Otto Wels von 1933 zurückblicken müssen, wenn ich Haltung meiner Partei erkennen will.
Aziz Bozkurt ist Landesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt und Mitglied im Landesvorstand der SPD Berlin.

Aziz Bozkurt

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