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Volker Perthes

© picture-alliance/ dpa/dpaweb

Gastbeitrag: Ägypten hat die Qual nach der Wahl

Bei der Abstimmung über die Präsidentschaft haben die Ägypter keine gute Wahl: Die erste Runde gewannen ein Muslimbruder und ein Apparatschik. Dennoch bewirkt die Wahl einen zivilisatorischen Fortschritt, meint der Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Der erste Wahlgang der ersten freien Präsidentschaftswahlen Ägyptens ist für diejenigen, deren Aufstand Anfang 2011 die 30-jährige Herrschaft Hosni Mubaraks zum Ende brachte, mit dem denkbar schlechtesten Ergebnis ausgegangen: Im zweiten Wahlgang am 16. und 17. Juni werden nun Mohammed Mursi, der Kandidat der Muslimbrüder, und Ahmed Shafik, den man mit gutem Grund als Kandidaten der Militärführung bezeichnen kann, gegeneinander antreten.

Mursi und Shafik erreichten je knapp ein Viertel der Stimmen. Weder der eine noch der andere sind bislang durch demokratische Überzeugungen aufgefallen, keiner von beiden verkörpert ein wirklich neues Ägypten: Shafik, der ehemalige Kampfpilot, Luftwaffenchef und Luftfahrtminister, wurde von Mubarak in dessen letzten Tagen zum Ministerpräsidenten ernannt, um die Revolution zu verhindern, amtierte nach dessen Sturz noch drei Wochen und wurde dann durch Proteste aus dem Amt gedrängt. Mursi gehört zum konservativen Flügel der Muslimbruderschaft, die in fester Opposition zum Mubarak-Regime stand, zumindest den Beginn der Revolution aber verpasste, um sie dann machtvoll zu unterstützen.

Im ersten Wahlgang haben weder Mursi noch Shafik über die eigene Klientel hinaus – die Wählerschaft der Muslimbrüder im einen, die Anhängerschaft des alten Regimes, das Militär und die Bürokratie im anderen Fall – Unterstützung gewinnen können. Durchgesetzt haben sich die zwei Kandidaten, die die stärksten „Maschinen“ auf ihrer Seite hatten: Mursi die im gesamten Land gut organisierte Muslimbruderschaft, Shafik das Militär. In gewisser Weise sind die Ergebnisse der nächsten drei Kandidaten, die keine solche Maschine hatten, sondern kraft ihrer Persönlichkeit mit kleinsten Wahlkampfmannschaften auf 10 bis 20 Prozent der Stimmen kamen, sehr viel eindrucksvoller. Verloren haben sie dennoch. Wie so oft haben die liberaleren Kandidaten ihre Popularität überschätzt und sich gegenseitig Stimmen abgenommen.

Mursi und Shafik werden nun um jene Hälfte der Wählerschaft konkurrieren, die keinen von beiden wollte. Ihre eigenen Wähler haben sie sicher. Neue Stimmen gewinnen müssen sie unter den Wählern der drei Nächstplatzierten, das heißt vornehmlich in der politischen Mitte – bei denen, die weder die Herrschaft des Militärs noch einen islamistischen Staat wollen. Beide werden, da kann man sicher sein, eine demokratische Schönheitsoperation vollziehen und sich öffentlich zu Demokratie, Toleranz und Gleichheit, sozialer Gerechtigkeit, Respekt der Grundrechte und Offenheit für die Zusammenarbeit mit politischen Gegnern verpflichten. Damit werden sie natürlich nicht plötzlich zu überzeugten und überzeugenden Demokraten. Aber sie müssen sich, und das ist ein zivilisatorischer Fortschritt, einer Wahldemokratie entsprechend verhalten, sich zu den Werten der Demokratie bekennen. Shafik hat sich bereits in dem Sinn geäußert, dass es kein Zurück zur Zeit vor der Revolution geben werde. Mursi hat betont, dass er den Friedensvertrag mit Israel einhalten werde.

Mursi kann, wenn er gewinnt, praktisch durchregieren: Da auch das Parlament von der Muslimbruderschaft dominiert wird, wird er wenig Schwierigkeiten haben, eine Regierung zu bilden oder Reformen auf den Weg zu bringen. Umso deutlicher wird die Muslimbruderschaft dann bei den nächsten Wahlen an ihren Leistungen gemessen werden. Shafik dagegen hat das Vertrauen des Militärs. Gerade deshalb könnte es ihm, eher als Mursi, gelingen, den Übergang von militärischer zu ziviler, demokratisch legitimierter Herrschaft möglich zu machen. Er würde dem Militär die Sicherheit geben, dass auch mit einer Abgabe der Macht die Grundfesten ägyptischer Politik, auch der Außenpolitik, nicht infrage gestellt werden.

In beiden Fällen ist denkbar, dass diejenigen, die diese freien Wahlen überhaupt möglich gemacht haben – die Jugendbewegung vom Tahrir-Platz vor allem – auch einen gewählten Präsidenten herausfordern werden, wenn dieser versuchen sollte, das Land auf einen autoritären Weg islamistischer oder militärgestützter Art zurückzuführen. Gut ist, dass beide Kandidaten dies wissen.

Der Autor leitet die Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

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