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Ein lächelnder Ex-Bundespräsident: Christian Wulff wird von dem Verdacht der Vorteilsnahme freigesprochen.

© dpa

Freispruch für Christian Wulff: Peanuts, Schlagzeilen und die eigene Moral

Nach dem Freispruch von Christian Wulff bleibt der Eindruck, dass mancher Vorwurf in den Medien zu scharf vorgetragen war. Wir alle müssen uns deshalb fragen: Werden wir den moralischen Ansprüchen gerecht, die wir an unsere politischen Eliten anlegen?

Am Ende, nach dem Freispruch des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff vom Vorwurf der Korruption, darf man fragen, ob ein Satz von Richter Frank Rosenow aus der Urteilsbegründung nicht auch am Anfang aller Überlegungen über die mögliche Schuldbarkeit des Politikers hätte stehen können. Der Satz, ob es wirklich glaubhaft sei, „dass sich der Ministerpräsident für Peanuts kaufen ließ“. Um Peanuts, Nichtigkeiten ging es ja bei den vom Filmfinanzier David Groenewold spendierten Hotel- und Bewirtungskosten im Werte von 720 Euro für das Ehepaar Wulff, womit angeblich eine Empfehlung Wulffs für ein Filmprojekt erreicht werden sollte. Aber wer so fragt, ob man auf das alles nicht hätte verzichten können, verkennt eine Grundlage unseres Rechtssystems. Strafrechtlich relevante Vorwürfe müssen ohne Ansehen der Person geklärt werden – und beim höchsten Repräsentanten dieses Staates, beim Bundespräsidenten, sind die Maßstäbe dafür nicht etwa großzügiger, sondern strenger.

Richter: „Herr Wulff ist unschuldig.“

Für jeden kleinen Beamten wäre ein vergleichbarer, aber dann durch ein Urteil zum Faktum gewordener Vorwurf gleichbedeutend mit dem Ende der Karriere im öffentlichen Dienst gewesen. Und beim Staatsoberhaupt hätte man da auf Klärung verzichten sollen? Der Makel, sich für eine Oktoberfesteinladung mit einer Gefälligkeit bedankt zu haben, wäre immer an Christian Wulff haften geblieben. Und so hat er auch recht getan, als er sich nicht auf eine Verfahrenseinstellung gegen eine Geldauflage von 20 000 Euro einließ, sondern auf einen Freispruch hoffte, der nun vor dem Landgericht Hannover auch erging. Es war so etwas wie eine förmliche Ehrenerklärung, als der Richter sagte: „Herr Wulff ist unschuldig.“

Christian Wulff war ein verzweifelter Mensch

Was bleibt, ist jener Bereich, an dem die Macht des Rechtes, des Gerichtes, endet. Der Politiker Wulff ist kein Opfer der Medien – die waren ihm, zumindest was die Boulevardpresse betrifft, ganz im Gegenteil nur zu gerne gefällig. Manche Zeitungen behandelten ihn überheblich, das stimmt – weil nicht er, sondern Joachim Gauck deren Wunschkandidat für das Präsidentenamt gewesen war und es ihm an Intellektualität gemangelt habe. Aber gescheitert ist Christian Wulff nicht daran, sondern an persönlichen Schwächen, an kleinen Unredlichkeiten, etwa, als er dem niedersächsischen Landtag die Hintergründe eines Hauskredites verschwieg. Sein Ruf litt, weil er bei der Annahme von Einladungen und der Auswahl seiner Gastgeber wenig Feingefühl und noch weniger Gespür für die Grenzen hatte. Nicht umsonst hat sich in der Jugendsprache das Verb „wulffen“ für schnorren etabliert.

Mancher Vorwurf, etwa wegen eines geschenkten Bobbycars für den kleinen Sohn, war indes maßlos. Dass Wulff letztlich ein verzweifelter Mensch war, zeigt sich in seinem Monolog auf der Mailbox des „Bild“-Chefredakteurs. Der liest sich heute weniger als unzulässiger Versuch der Einflussnahme wie als rat- und hilfloses Gestammel eines Mannes, dem während des Dreiminutenselbstgesprächs seine Ohnmacht offenbar wird. Christian Wulff ist zu wünschen, dass er, nun reifer geworden, in eine bürgerliche Existenz fern der Politik findet. Die finanziellen Mittel dazu hat er dank des großzügig bemessenen Ehrensoldes aus seiner Präsidentenzeit. Die Medien müssen sich fragen, ob mancher Vorwurf nicht in zu hohem Ton vorgetragen worden war. Allesamt dürfen wir darüber nachdenken, ob wir selbst den moralischen Ansprüchen gerecht würden, die wir an unsere politischen Eliten anlegen.

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