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Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, wünscht sich einen Grenzzaun wie hier in Ungarn.

© dpa

Flüchtlinge in Europa: Deutschland braucht mehr legale Wege zur Einreise

Weder Abschottung noch Abschreckung reduzieren Flüchtlingszahlen. Europa muss Migration als Normalzustand begreifen – und eine humanere Flucht ermöglichen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Fabian Federl

Issouf lebt seit einem Jahr in Kreuzberg. Seine Heimat Burkina Faso verließ er fast zwei Jahre vorher. Er reiste durch die Sahara, über Niger nach Libyen, dort machte er die lebensgefährliche Überfahrt nach Lampedusa, dann Italien, später Deutschland.

Wäre er früher gegangen, er hätte wohl den Weg über Mali genommen, über Mauretanien und Marokko in die spanische Enklave Melilla. Die Regierung baute einen Zaun, dreireihig, sechs Meter hoch. Immer wieder starben Menschen beim Überwindungsversuch – ertrunken oder von marokkanischen und spanischen Grenzern erschossen.

Noch früher hätte Issouf wohl den Weg über die Kanaren genommen – näher, aber keineswegs sicherer.  Die EU-Grenzschutzagentur „Frontex“ begann 2006 Flüchtlingsboote zurückzudrängen. Diese „Push-Backs“ erklärte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte für menschenrechtswidrig. 2006 allein starben trotz des Einsatzes 490 Menschen auf der Route.

"Die tödlichste Grenze der Welt"

Würde Issouf heute fliehen, er würde vielleicht – wie 90 Prozent aller illegal Eingereisen – über die Türkei nach Griechenland einreisen; davor müsste er den halben afrikanischen Kontinent überqueren, wo Entführung, Folter und Tod nicht selten sind. Laut „Pro Asyl“ arbeiten „Frontex“ und die griechische Polizei auch an der Griechisch-Türkischen Seegrenze mit „Push-Backs“.

Mehr als 25.000 Menschen sind laut „Brot für die Welt“ in den letzten 15 Jahren an den EU-Außengrenzen gestorben. Damit sei sie die tödlichste Grenze der Erde. Und doch steigt die Zahl der Migranten über diese Grenze stetig an.

Weder Abschottung noch Abschreckung hat dazu geführt, dass sich die Zahl der Ankommenden verringert. Es hat die Probleme verschoben. Wenn Menschen gehen müssen, sind sie bereit, Hindernisse zu überwinden. Wäre Issouf nicht in Melilla, nicht auf den Kanaren, nicht in Lampedusa und nicht in Griechenland durchgekommen - er hätte es einfach woanders versucht.

Wer für eine Abschottung Europas plädiert, suggeriert eine Kontrolle, die es nie gegeben hat.

Nach und nach werden Europas Türen geschlossen, an den Außen- und Binnengrenzen. Und je dichter die Türen geschlossen werden, desto mehr Menschen werden durch die Fenster einsteigen. Denn solange es bei ihnen brennt, müssen sie fliehen.

Menschen kommen und werden weiterhin kommen

Noch immer herrscht die Meinung, dass Flüchtlingsbewegungen etwas Vorübergehendes seien. Doch Menschen kommen und werden kommen. Die Frage ist nicht, wie man das zu verhindern versucht, sondern: Wie gehen wir mit dieser Realität um?

Dass momentan unter anderem in Deutschland eine massive Belastung dadurch entsteht, kann nicht weggeredet werden: Die Probleme entstehen bei Platzmangel und Kosten der Unterbringung und Betreuung, im überlasteten Asylregistrierungsverfahren, im Chaos bei den zuständigen Behörden und den ewigen Wartezeiten und den immer wieder auftauchenden Engpässen in jedem Schritt von der Erstregistrierung bis zur Anerkennung oder Ablehnung.

„Die Situation momentan ist keine Ausnahme. Neu ist, dass Vertriebene und Flüchtlinge durch das Asylnadelöhr ins Land kommen, weil Deutschland viel zu wenig legale Wege geschaffen hat“, sagt der Migrationsforscher Klaus Bade in der Tagesschau.

Dieser Prozess muss entzerrt und entlastet werden, ohne, dass auch nur ein Geflüchteter dadurch eine gründliche und rasche Prüfung seines Schutzanspruchs verliert.

Botschaftsasyl und Einwanderungsgesetz

Dafür könnte Europa etwa Botschaftsasyl in Krisenregionen einführen: Wenn nahezu alle Syrer einen Schutzstatus in Deutschland bekommen, wieso können sie das nicht in der Botschaft in Damaskus, in Beirut oder Ankara beantragen? Syrer, die einen Asylgrund haben, könnten dann mit einem Visum nach Deutschland reisen.

Wenn nahezu kein Algerier einen Schutzstatus bekommt, wieso darf der das dann nicht schon in Algier erfahren? Ein Teil würde sich mit dem Wissen sicherer Ablehnung nicht auf den Weg machen. Diese Menschen mit falschen Aussichten ins Ungewisse reisen zu lassen, ist empathielos und begünstigt zudem Illegalisierung – denn, dass ein Asylbescheid negativ ausfällt, heißt noch lange nicht, dass die Menschen wieder zurückgehen. Viele bleiben in informellen Strukturen – ohne Arbeit, ohne Sozialhilfe, ohne Versicherungen.

Aber viel wichtiger wäre ein solches System für jene, deren Asylberechtigung unklar ist. Wie Issouf. Rund 80 Prozent der Anträge von Burkinabe werden positiv beschieden. Woher sollte er wissen, ob er zu den 20 Prozent gehört, bevor er sich auf den lebensgefährlichen Weg gemacht hat?

Das EU-Parlament forderte die Mitgliedsstaaten bereits auf, ein solches Botschaftsmodell möglich zu machen. Asylanträge könnten in den europäischen Botschaften gestellt werden, aber weiterhin im Zielland bearbeitet. Die Schweiz bot 33 Jahre lang Botschaftsasyl, seit 2012 gilt es nur noch bei unmittelbarer Bedrohung. Eine Mehrheit der Schweizer wünscht sich diese Regelung jetzt angesichts der gestiegenen Zahlen zurück. In kanadischen Botschaften kann man ebenfalls Asyl beantragen, wenn die Voraussetzungen gegeben sind.

Auch systemische Verfolgung ist Verfolgung

Europa bräuchte zudem ein Einwanderungsgesetz, das ebendiesen Menschen, die nicht unter Asylkriterien fallen, eine Möglichkeit gibt, legal einzureisen. Ein Verfahren, das individuell prüft – zum einen nach Qualifikation. Nach Kontingentlösungen, je nachdem, was der europäische Arbeitsmarkt gerade benötigt. Zum anderen aber müsste es Schutzfaktoren berücksichtigen, die außerhalb des Asylrechts liegen: Menschen, die nicht eine individuelle Verfolgung nachweisen können, aber systemisch unterdrückt werden – Roma etwa, oder Transmenschen. Viele Homosexuelle haben es schwer, einen Asylgrund nachzuweisen, weil sie beweisen müssen, dass sie individuell verfolgt werden.

Ein Einwanderungsgesetz wäre zum einen ein Gesetz für den Arbeitsmarkt, zum anderen für Menschen, deren Schutz ein europäisches Selbstverständnis ist, die aber in anderen Ländern Verfolgung ausgesetzt sind.

Die Forderung ist nicht einmal neu. Ein Einwanderungsgesetz in der einen oder anderen Form fordern alle Parteien im Bundestag außer die CSU – selbst die CDU ist dafür, wenn auch erst nach 2017.

Botschaftsasyl und Einwanderungsgesetz könnten etliche Menschen davon abhalten, sich auf den lebensgefährlichen Weg zu machen, das Asylsystem deutlich entlasten, qualifizierten Einwanderern eine geregelte Möglichkeit zur Einwanderung zu bieten, und die Zahl derer reduzieren, die illegal in Deutschland bleiben. Gleichzeitig wären sie ein Beitrag für einen humaneren Umgang mit Menschen auf der Flucht und deren Eingliederung in die deutsche Gesellschaft.

Es ist unerlässlich gerade in Zeiten des ständigen Überbietens mit Restriktionsforderungen den Blick darauf zu werfen, was langfristig gebraucht wird.

Europa muss Migration als das begreifen, was sie ist: Der humangeschichtliche Normalfall. Es kommt gerade in Zeiten des ständigen Überbietens mit Restriktionsforderungen darauf an, langfristige Lösungen zu schaffen, statt zu warten, bis die Schocknachrichten von der nächsten Grenze eine Notlösung erfordern.

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