zum Hauptinhalt
Bestes Einvernehmen: Der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) nannte Ägyptens Machthaber al Sisi (rechts) bei seinem Kairo-Besuch im April 2016 einen "beeindruckenden Präsidenten". Der Foltermord an Giulio Regeni lag da gerade zehn Wochen zurück.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Europa und Ägyptens Regime: Orden für den Menschenfresser

Ägyptens Regime vergreift sich sogar an Bürgern der EU - und wird weiter hofiert. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Viele Reaktionen gab es nicht mehr, als Italien und Ägypten vor einigen Tagen einen Skandal beerdigten, der schon in den vergangenen knapp fünf Jahren nie genug europäische Öffentlichkeit hatte: Der – mehr als wahrscheinliche – Staatsmord des ägyptischen Regimes an dem europäischen Bürger Giulio Regeni. Nun kamen Kairo und Rom überein, dass man in der Sache einfach nicht zueinander kommen wird. Punkt.

Regeni, Doktorand aus Cambridge, verschwand Ende Januar 2016 auf dem Weg zu Kairoer Freunden spurlos. Neun Tage später fand man seinen verstümmelten und schrecklich gefolterten Körper an einem Straßenrand. Die Erklärungen, die das offizielle Ägypten lieferte, waren hanebüchen. Selbst einen Autounfall bot man Regenis italienischer Familie und der Regierung in Rom als Todesursache an. Am Ende kostete die Erklärungsnot des Regimes fünf weitere Menschen das Leben, denen es den Mord in die Schuhe schob. Alle kamen bei einer Polizeirazzia ums Leben. Tote reden eben nicht mehr.

Macron nimmt Sisi sogar in die Ehrenlegion auf

Roms Staatsanwaltschaft arbeitete gründlich und konnte kürzlich vier Verdächtige aus dem Sicherheitsapparat des ägyptischen Präsidenten al Sisi identifizieren. Kairo will sie nicht ausliefern. Warum auch? Was sich die europäischen Regierungen und Institutionen – nicht nur Rom! – in diesem Fall geleistet haben, kommt einer nachträglichen Rechtfertigung des Foltermords gefährlich nah. Längst residiert wieder ein Botschafter aus Rom am Nil, und als bereits klar war, dass der Austausch von Ermittlern zwischen Rom und Kairo beendet werden würde, weil Kairo stur mauerte, besaß der Chef des ägyptischen Präsidentenamts, von Schweizer Medien befragt, noch die Stirn, die „Kooperation“ zwischen ägyptischer und italienischer Justiz zu rühmen.

Nachdem sich kürzlich Vertreter der einzigen noch nicht vollends zerschlagenen ägyptischen Menschenrechtsorganisation in Kairo mit EU-Botschaftern getroffen hatten, darunter dem deutschen, verschwanden sie binnen einer Woche im Gefängnis. Und am Tag, da das Regime die Haft eines weiteren Forschers, Patrick Zaki, der in Bologna forscht, um 45 Tage verlängerte – er sitzt seit zehn Monaten im Gefängnis – hängte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dem Gewaltherrscher vom Nil Frankreichs höchsten Orden um, das Großkreuz der Ehrenlegion. Die Bilder des Events musste sich das französische Fernsehen vom Kairoer Staatssender besorgen. Was der stolz herausposaunte, hatte der Elysée-Palast lieber ohne französische Kameraleute erledigen wollen.

Nicht jede politische Grausamkeit hat einen verborgenen guten Zweck

Man kennt die Argumente für solche „Realpolitik“: den „Gesprächsfaden nicht abreißen lassen“, auch mit Diktaturen, „hinter den Kulissen“ reden. Stimmt alles. Aber im Falle Ägypten stimmt nichts davon. Schlimmer: Es gibt eine Botschaft von Orden und Demutsgesten für den Menschenfresser – auch die deutschen Minister Gabriel (SPD) und Altmaier (CDU) machten Kratzfüße vor dem Mann, der Europas Waffen kauft und der EU verzweifelte Migranten vom Hals hält – und die heißt: Weiter so, selbst unsere Staatsangehörigen dürft ihr zu Tode foltern, wir lassen uns sogar offen für dumm verkaufen. Das ist nicht pragmatisch, sondern eiskalt und grausam. Und es ist dumm: Wer weiß, wann es spanische Geschäftsleute auf Ägyptenreise trifft? Oder EU-Journalistinnen auf Urlaub in Sharm el-Sheik, die es in den Augen al Sisis übertrieben haben? Tourismus ist einer der wichtigsten Devisenbringern des Landes. Wer wollte sich noch ohne ein mulmiges Gefühl in einen Ferienflieger nach dort setzen, wenn es denn wieder möglich ist? Und natürlich kann man fragen, wieso man das Regime eines solchen Mannes tatsächlich für einen Stabilitätsanker halten und sogar noch seine Schergen ausbilden kann.

Merke: Nicht jede politische Grausamkeit hat einen verborgenen guten Zweck. Oft ist sie einfach nur dies: eiskalt und grausam.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false