zum Hauptinhalt
Prorussische Separatisten an der Absturzstelle in der Ostukraine.

© Reuters

EU und Russland: Was der Umgang mit den Leichen zeigt

Das respektlose Vorgehen der prorussischen Seite an der Absturzstelle von Flug MH17 macht deutlich, dass es den Russen in der Ostukraine nicht um Menschenwürde geht. Die EU und Deutschland haben es in der Hand, Putin mit Sanktionen von seinem Kriegskurs abzubringen.

Im Rätselhaften verbirgt sich mitunter eine tiefe Wahrheit. Am Ende war es der herzlose Umgang mit toten Körpern, der viele Menschen in Europa zum Umdenken brachte beim Blick auf die Ukraine. Warum bedurfte es der Bilder verrohter Männer, die ohne jedes Zeichen von Gefühl mit Leichen hantieren, um zu erkennen, welches Unrecht dort geschieht? Warum haben die unleugbaren Verbrechen an Lebenden – Folter, Mord, Raub der Heimat – Europa nicht früher erschüttert?

Zu den beschämenden Antworten gehören: Selbstschutz, Bequemlichkeit und die als Appell an die Vernunft formulierte Berufung auf nationale Interessen. Man dürfe die Gesprächskanäle nach Moskau nicht verschließen. Müsse an die Energieversorgung im Winter denken. Und die Arbeitsplätze in der Exportwirtschaft. Zudem, wer kann das schon aushalten, alles Leid dieser Erde täglich an sich heranzulassen – Flüchtlingsboote aus Afrika, Krieg in Syrien, jetzt noch die Ukraine? Dort schienen die Grenzen zwischen Gut und Böse ohnehin zu verschwimmen. Was Putin tat, war nicht in Ordnung. Aber wenn der neue ukrainische Präsident die Armee losschickt, dann ist auch das Gewalt, also nicht okay. In dieser Sehnsucht nach Äquidistanz aus sicherer Distanz drohten die Maßstäbe für Richtig und Falsch verloren zu gehen.

Doch angesichts der inhumanen Bilder von der Absturzstelle hat der Instinkt bei vielen über die Ausflüchte des Verstands und die Trägheit des Herzens gesiegt. Ihr Instinkt sagt: Zeige mir, wie du mit Leichen umgehst, und ich sage dir, welche Werte du hast. Die Behauptung, dass die Russen in der Ostukraine um Würde und Menschenrechte kämpfen, ist als Lüge entlarvt. Diese instinktive Einsicht hat wohl noch mehr Überzeugungskraft als die Indizien, die für Russlands Mitschuld am Abschuss des Passagierjets sprechen.

Wann, wenn nicht jetzt, will die EU den Druck auf Moskau verstärken?

Diese Veränderung der öffentlichen Meinung ist in vielen Ländern zu spüren, besonders denen, die Tote zu beklagen hatten wie die Niederlande. Wann, wenn nicht jetzt, will die EU den Druck auf Moskau verschärfen? Sanktionen sind kein Selbstzweck. Sie dienen dem Ziel, die Ausweitung des Kriegs zu verhindern. Die Separatisten haben keinen Rückhalt in der Bevölkerung der Ostukraine. Sie können die Kämpfe nur fortsetzen, solange Putin sie mit Waffen, Munition und Söldnern unterstützt. Freiwillig wird er das nicht stoppen. Die Demonstration russischer Stärke ist für ihn die beste Sicherung seiner Macht. Und das heißt: sichtbare Unterjochung der Nachbarn, von Armenien und Georgien bis zur Ukraine und Moldawien.

Diesen Kurs kann er freilich nur durchhalten, solange die russische Wirtschaft nicht den Bach heruntergeht. Das hat die EU in der Hand, ganz voran Deutschland. Gewiss, Sanktionen werden nicht nur Russland wehtun, sondern auch uns ein bisschen. Wer Werte aber nur verteidigt, wenn es nichts kostet, dem sind Werte offenbar wenig wert. Was direkt zum Ostausschuss der deutschen Wirtschaft und seinen Horrorwarnungen vor Sanktionsfolgen führt. Der gesamte deutsche Russlandhandel beläuft sich auf 77 Milliarden Euro. Das entspricht 3,9 Prozent des Außenhandels. Und in etwa dem erwarteten Zuwachs für 2014. Anders gesagt: Wenn Deutschland den gesamten Russlandhandel stoppen würde – was niemand erwartet –, würde das ein Jahr Nullwachstum im Außenhandel bedeuten. Der Ostausschuss sagt übrigens nur einen Rückgang des Austauschs mit Russland um zehn Prozent voraus. Das wären nicht mal vier Promille des deutschen Außenhandels.

Russland-Freunde wie Ex-Kanzler Gerhard Schröder oder der Ostausschuss-Vorsitzende Eckhard Cordes würden ihre Energie besser einsetzen, wenn sie Putin von seinem Kriegskurs abbrächten. Dann wären Sanktionen auch nicht mehr nötig. Bis dahin gilt: Deutschland kann Russland-Sanktionen verkraften, Moskau nicht. Wenn die USA und Europa die Finanzströme nach Russland drosseln, wäre dessen Wirtschaft in wenigen Monaten am Ende. Und die Maßstäbe für Richtig und Falsch in der Weltpolitik wären wieder ein bisschen näher am Instinkt vieler Menschen.

Zur Startseite