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Abkühlung vor dem Dom - so entspannt kann es zugehen in Berlin.

© rtr

Entspannte Hauptstadt: Berlins neue Gelassenheit

Berlin ist das Schaufenster eines neuen Deutschlands, das ein freundliches Gesicht zeigt. Hier läuft nichts wie am Schnürchen - aber es menschelt. Ja, selbst der BER - an weniger sonnigen Tagen ein Milliardengrab - wird so zum Nationaldenkmal. Gewissermaßen.

Von Christian Hönicke

In einer englischen Zeitung hat der Londoner Bürgermeister Boris Johnson ein Loblied gesungen auf das entspannte Leben zwischen den hiesigen Seen, Kneipen und Parks. Johnson erfand dabei den Begriff „teutonische Gelassenheit“, und das ist wohl das höchste Lob, das je aus einem britischen Mund über die Deutschen kam.

Natürlich ist seine Sicht auf diese Stadt so romantisch verbrämt wie die Schwärmerei vieler Deutscher für die Toskana. Berlin ist mehr als Party in der Abendsonne, und auf dem Bierbike erfährt man wenig über die Schattenseiten einer Stadt oder die Nöte derer, die einen Kita-Platz oder eine Wohnung suchen.

Aber deshalb müssen wir diese Liebesbezeugung nicht kleinreden. Wir sollten sie einfach unaufgeregt annehmen und uns ein wenig darüber freuen, dass es anderen bei uns gefällt. Und wir können sie zum Anlass nehmen, insgesamt etwas nachsichtiger mit uns zu sein, ein wenig mehr Selbstbewusstsein im reinsten Sinne dieses Wortes zu entwickeln. Denn wer sich nicht einmal selbst mag, kann auch niemand anderen mögen.

In den Umfragen der BBC wurde Deutschland seit 2008 fünf Mal zum beliebtesten Land weltweit gewählt. Der Touristenmagnet Berlin hat daran einen entscheidenden Anteil. Die Hauptstadt ist trotz oder gerade wegen ihrer prekären finanziellen Lage und dem kreativen Umgang damit das Schaufenster eines neuen Deutschlands, das ein menschliches Gesicht zeigt.

Nicht die perfekt geplanten Berliner Bauten oder die perfekte Taktung der S-Bahnen fasziniert die Menschen an Berlin. Sie fühlen sich angezogen von der fast schon mediterranen Gelassenheit dieser Stadt, die so gar nicht mehr preußisch ist, in der die Ämter oft genug vor dem Chaos des Lebens die Waffen strecken müssen. In Berlin läuft nichts wie am Schnürchen, stattdessen: Es menschelt, mitten in Teutonien.

Der Flughafen BER ist gewissermaßen das Nationaldenkmal dieses neuen Deutschlands. Dieses Milliardengrab ist kein Ruhmesblatt einheimischer Baukunst und es wird uns noch genug Kopfschmerzen bereiten. Doch das ist unsere eigene Baustelle, und wer deswegen den Spott der Nachbarn fürchtet, zeigt sich als jemand, der die perfekte Fassade unter allen Umständen aufrechterhalten will.

Dabei trägt das Flughafen-Fiasko auch etwas Befreiendes für uns selbst in sich. Der BER räumt auf mit der Mär vom unfehlbaren Deutschen, der der Welt so unheimlich erschien. Nun können wir endlich lächelnd sagen: Seht her, wir können auch nicht alles. Und vielleicht sogar einen Witz darüber machen. Oder ihn ertragen.

Auf der anderen Seite müssen wir Worte wie jene von Johnson auch nicht euphorisch überhöhen. Demut steht uns immer gut, doch der ständige Blick auf die Reaktionen anderer, die Angst, unsympathisch zu sein, provinziell zu wirken, kurz: den Ansprüchen nicht zu genügen – all das hat auch etwas Zwanghaftes. Hinter dieser Selbstwahrnehmung durch fremde Augen steckt nämlich wieder nur der gleiche ungesunde Ehrgeiz des teutonischen Strebers. Nein, wir müssen nicht von allen gemocht werden. Aber es muss sich auch niemand vor uns fürchten.

Am Ende von Billy Wilders „Manche mögen’s heiß“ heißt es: „Well, nobody’s perfect“. Das gilt auch für uns Berliner, uns Deutsche. Dafür muss sich niemand schämen, im Gegenteil: Wir können darauf sogar ein bisschen stolz sein.

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