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Ein an einer Kette befestigtes Schild warnt vor Strahlung im atomaren Zwischenlager in Gorleben.

© dpa

Energiewende: Sonderweg für alle

In der Atomfrage sind wir eine Ausnahme unter den großen Industrienationen. Der zweite Ausstieg verdammt die politischen Kritiker des ersten, den Sonderweg zur Pioniertat zu machen.

Fast immer geben politische Kompromisse Anlass zur Betrachtung halbvoller oder halbleerer Gläser. Der Ausstieg aus der Atomenergie eignet sich dazu nicht. Die Opposition hat natürlich Grund, den Finger auf Schlupflöcher und Ungereimtheiten zu legen, mehr aber noch zu Optimismus. Denn der Bericht der Ethikkommission und die Beschlüsse der Bundesregierung besiegeln den Volkswillen. Die Ablehnung der Atomkraft ist eine Konstante in Deutschland. Sie hat über Jahrzehnte und in unterschiedlichen Konstellationen ihre Kraft bewiesen.

Nach Fukushima und vor zwei wichtigen Landtagswahlen hat Angela Merkel gesehen, dass sie mit der Laufzeitverlängerung ihre Rechnung ohne das Volk gemacht hatte. Sachlich konnte und wollte sie nach der japanischen Katastrophe nicht mehr bestreiten, was ihre Bürger schon seit Tschernobyl wussten. Mit dieser Technologie gehen wir Risiken ein, die weder in ihrem Ausmaß noch ihrer zeitlichen Dimension beherrschbar sind. Politisch gab es zum Umschwenken der Unionsparteien nur die schlechtere Alternative, isoliert neben der FDP auf die Wahlniederlage von 2013 zu warten.

Merkels Zeitfenster, für die CDU Bündnisoptionen zum grünen „Hirngespinst“ zu öffnen, ist dabei nicht größer als jenes, das realistisch für einen Ausstiegsbeschluss mit Datum und Vollzugsregeln offen steht. Schon drängen wieder andere große Themen nach vorn; der Fukushima-Schock verblasst. Noch einmal hat eine Wahl, die in Bremen, den Druck auf die CDU-Vorsitzende erhöht, ihre Energiewende mit einem konkreten Termin glaubhafter zu machen. Denn politischer Gewinner der Debatte um die Zukunft der Energie ist unverkennbar die Öko-Partei, die den Atomausstieg seit ihrer Gründung unabhängig von öffentlichen Konjunkturen überzeugt vertritt.

Die Grünen sind ein nachhaltiges Produkt der deutschen Atomangst, aber nicht ihr einziges. Merkel, die FDP, die Kernkraftbetreiber würden die Ablehnung der Akw in Deutschland abermals unterschätzen, wenn sie die offenen Stellen der Koalitionsbeschlüsse als Schlupflöcher verstehen. Der kurze Weg zur Gesetzgebung in diesem Jahr und der lange zur Realisierung der neuen Energieversorgung bis 2021 ist umstellt von einem Netzwerk des atomkritischen Expertentums, das in staatlichen Institutionen, Wirtschaft und Verbänden starke Bastionen hat.

Atomkritische Bewegungen haben nämlich eine lange Tradition in Deutschland. In den 50er Jahren die gegen die atomare Bewaffnung, die sich auch auf die Kirchen oder führende Naturwissenschaftler wie die „Göttinger 18“ um Carl Friedrich von Weizsäcker stützen konnte. Die Anti-Atomkraftbewegung wuchs seit den frühen 70ern zu einer nationalen Bewegung, aus der nicht nur die neue Partei hervorging. Sie brachte auch die technikgläubige Befürwortung der friedlichen Nutzung der Atomspaltung bei SPD und Gewerkschaften zum Einsturz, brachte Verbände und wissenschaftliche Institute hervor, regte Bauern, Unternehmer, Ingenieure zu industriellen und landwirtschaftlichen Innovationen an. Und führte zum ersten, zum rot-grünen Ausstiegskonsens.

Mehr als dieser erste wiegt der zweite vor allem aus einem Grund: Alle politischen Parteien und Strömungen plädieren nun für einen terminierten Ausstieg und müssen sich daran messen lassen. Die deutsche Haltung zur Atomenergie sei einzigartig auf der ganzen Welt, kommentiert Frankreichs mächtigste Atommanagerin die deutsche Energiewende. Das ist wahr. Wir sind eine Ausnahme unter den großen Industrienationen. Der negativ besetzte Begriff vom deutschen Sonderweg, man muss es zugeben, trifft für unsere neue Energiepolitik zu. Wer sie trotzdem will, wird außerdem nicht übersehen, dass auf diesem Weg, ganz unabhängig von guten oder bösen Absichten der politischen Akteure, der Teufel im Detail liegt. Da stehen auf der Tagesordnung: Endlager, Energiekosten, Klima, Konkurrenzfähigkeit, Versorgungssicherheit. Der zweite Ausstieg verdammt die politischen Kritiker des ersten, den Sonderweg zur Pioniertat zu machen.

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