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Die doppelte Staatsbürgerschaft ist in Deutschland nur in Ausnahmefällen möglich.

© dpa

Doppelte Staatsbürgerschaft: Politiker stellen Ausländer unter Generalverdacht

Der Fall Jonny K. lässt die Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft und kriminelle Ausländer wieder hochkochen. Doch sie wird heuchlerisch geführt und als Wahlkampfthema missbraucht, meint unsere Autorin.

Und nun auch noch der Bundesinnenminister: Die Flucht eines gesuchten Berliner Gewalttäters in die Türkei, sagt Hans-Peter Friedrich, bestätige ihn in seiner Ablehnung der doppelten Staatsbürgerschaft. Was Unionsfraktionschef Volker Kauder zum Wochenauftakt begonnen hat, soll, so scheint es, befestigt werden: Wahlkampf mit dem Doppelpass.

Erinnert sich noch jemand an den Fall Mehmet? Vor 15 Jahren wollte Deutschland einen jungen Münchner Gewalttäter unbedingt loswerden, der bis zu seinem 14. Geburtstag schon mehr als 60 Straftaten auf dem Buckel hatte, Diebstähle, Körperverletzungen, Erpressung. Weil er türkischer Staatsbürger war, konnte man ihn in die Heimat seiner Eltern abschieben. Er kehrte nach einem Urteil zu seinen Gunsten zurück, setzte sich nach einer neuen Straftat wieder in die Türkei ab. Als Muhlis A., wie „Mehmet“ in Wirklichkeit heißt, im vergangenen Jahr erneut versuchte, zurückzukehren, erklärte Bayerns Justizministerin kurz und bündig, das komme nicht infrage: „Mehmet wollen wir hier nicht.“

Onur U. dagegen „wollen wir“ unbedingt. Zu Recht. Er gehörte mutmaßlich jener Bande an, die im Oktober den 19-jährigen Jonny K. zu Tode geprügelt hat. Er ist nicht in die Türkei abgeschoben worden, sondern hat sich dorthin abgesetzt, um sich seinem Verfahren zu entziehen. Fragt sich nur, warum vor fünfzehn Jahren ausgerechnet das als unabweisbar nötig galt, was jetzt als empörend angesehen wird: dass ein in Deutschland straffällig Gewordener in der Türkei landet.

Die Antwort dürfte sehr einfach sein. Es passt gerade so gut. Kauder hat die doppelte Staatsbürgerschaft zum Wahlkampfthema ausgerufen und hier ist nun ein mutmaßlicher Totschläger oder Mörder, der die zwei Pässe haben soll. Da braucht es nur noch einen, der – wie Neuköllns Klartext-Bürgermeister – den vermeintlichen Zusammenhang in Worte fasst: „Mehrstaatlichkeit erleichtert Kriminalität“, schreibt Heinz Buschkowsky. Garniert mit der Frage, wozu denn jemand überhaupt zwei Pässe brauche, wenn nicht aus diesem Grund.

Wer glaubte – und auch moderne Christdemokraten taten dies – nach dem unsäglichen Landtagswahlkampf 1999 in Hessen sei inzwischen Schluss mit Anti-Ausländer-Propaganda, die das Etikett „Doppelpass“ trägt, sieht sich nach dieser Woche eines Schlechteren belehrt. Das Thema ist im Jahr drei nach Sarrazin womöglich heißer denn je. Und seine Opfer sind nicht die Totschläger, Diebe und Räuber, die nebenbei vielleicht auch zwei Pässe haben. Sondern es ist die große Masse der hier lebenden Migranten oder Kinder aus binationalen Ehen, für die zwei Pässe nur Ausdruck ihrer Herkunft aus mehr als einer Kultur sind. Die mögen in ihrem Leben nicht einmal eine rote Ampel beim Spazierengehen ignoriert haben. Aber man stellt sie unter Generalverdacht: „Mehrstaatlichkeit dient denen, die Unrechtes im Schilde führen“, meint zum Beispiel Buschkowsky.

Kriminalität ins Feld zu führen, wenn es in Wirklichkeit um Gesellschaftspolitik geht, ist eine alte Methode, die sich leider nicht verbraucht. Sie hinterlässt stattdessen in der deutschen Einwanderungsgesellschaft tiefe Wunden. Nach jeder dieser Debatten überlegen sich – in Umfragen nachweisbar – mehr ganz normale Bürger, was sie noch in Deutschland hält oder warum sie überhaupt Deutsche werden sollten.

Menschen, die selbst oder deren Eltern oder Großeltern eingewandert sind, machen inzwischen ein Fünftel der Wohnbevölkerung aus. Das Thema doppelte Staatsbürgerschaft betrifft sie entweder selbst oder ihre unmittelbare Umgebung. Statt jenen mit mehr als einem Pass zu misstrauen, sollten mehr von ihnen einen deutschen Pass bekommen. Nicht einmal in ihrem, sondern in deutschem Interesse. Dass eine demokratische Gesellschaft ein Problem bekommt, deren Einwohner nicht zum großen Teil auch ihre Staatsbürger sind, sollte Politikern klar sein.

Aber im Wahljahr haben es schlichte Wahrheiten eben leichter als richtige.

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