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Ich bin noch da. Markus Lanz spielte bei „Wetten, dass..?“ mehrfach auf die Online-Petition gegen seine Talkshow an.

© dpa

Direkte Demokratie: Online-Petitionen müssen der Politik zu denken geben

Der Erfolg von Online-Petitionen muss auch sonst zu mehr Bürgerbeteiligung führen. Denn einerseits will man von den Leuten wissen, was sie wünschen. Andererseits stellt man sich in der Politik teilweise taub, wenn die Leute von sich aus sagen, was sie wollen.

Wer weiß, vielleicht haben sogar Mitglieder des Bundeskabinetts bei der Online-Petition gegen den Fernsehmann Markus Lanz mitgemacht, sei es, um Sara Wagenknecht zu schaden oder, im Gegenteil, um ihr den geraden Rücken zu stärken. Ob regierende Politiker ausnahmsweise mal direkte Demokratie gespielt haben, könnten nur die Analytiker der NSA sagen – und die werden es nicht tun. Schließlich gilt in Deutschland das Fernmeldegeheimnis.

Die Regierung könnte sich verheddern

Im Ernst: Es gibt Widersprüche zwischen dem Umgang der Bundesregierung mit der NSA-Affäre und der im Koalitionsvertrag angekündigten Stärkung der Demokratie. Die Regierung könnte sich darin verheddern. „Lebendige Demokratie und Bürgerbeteiligung“ verspricht sie und wird nicht sehr konkret. „Interaktive Kommunikation“ soll stattfinden, wenn Ärger zu erwarten ist: bei Infrastrukturprojekten. Außerdem will die Regierung einen „Digital Champion“ benennen. Den hat die EU erfunden. Er soll den Mitgliedsstaaten helfen, die Möglichkeiten der digitalen Wirtschaft zu nutzen. Ausgerechnet die EU, die jedes gemeinsame Bemühen um mehr Datensicherheit verschoben hat, gilt als vorbildlich bei der Installation von Werbefiguren für die Netzwirtschaft. Da könnte man denken, dass die Regierung in den Bürgern eher Konsumenten als politische Subjekte sieht – Konsumenten einer Politik, die früh Widerstände prüft und ansonsten darauf setzt, dass alle es sich gemütlich machen.

80000 wünschen sich eine angemessene Reaktion auf die NSA-Affäre

Ob das reicht? Es ist eine sehr zurückgenommene Haltung gegenüber einem Wahlvolk, das immer öfter direkt entscheiden möchte. Fast 80000 stimmten für die Petition der Autorin Juli Zeh und ihrer Kollegen, die von der Kanzlerin eine „angemessene Reaktion auf die NSA-Affäre“ verlangten. Damit war nicht gemeint, dass Angela Merkel bloß die Datensicherheit ihres Mobiltelefons verteidigt.

Die Online-Petition gegen die elektronische Gesundheitskarte verzeichnet 760000 Unterzeichner – ohne Reaktion. 300000 Petenten wehrten sich 2013 erfolgreich gegen die höhere Gema-Gebühren, die Betreiber von Clubs und Diskotheken betroffen hätten. In Anbetracht von 62 Millionen Wahlberechtigten sind die Petenten kein kritische Masse. Aber ihre Petitionen sind Zeichen des unrepräsentierten Unbehagens.

Bürgerbeteiligung ist mehr als "interaktive Kommunikation"

Das Petitionsforum des Bundestags verzeichnet über 2400 abgeschlossenen Petitionen. Da hat es etwas von politischer Unberührbarkeit, zu meinen, Bürgerbeteiligung erschöpfe sich darin, die „interaktive Kommunikation“ mit den Leuten auszubauen. Das ist die Arroganz der Macht. Wohin die führt, hat man im Berliner Senat so oft bemerken dürfen, dass Stichworte reichen: Mediaspree, Wasserverträge, vielleicht Tempelhofer Freiheit. Die Politik in Stuttgart hat ähnliche Lernerfahrungen gemacht. Brandenburg verarbeitet die Folgen des Volksbegehrens für ein weitreichendes Nachtflugverbot auf dem Flughafen BER.

Alles Luxusprobleme, könnte man sagen, und vermutlich gibt es in der großen neuen Koalition nicht wenige, die so denken. Doch darin liegt eben der Widerspruch: Einerseits will man von den Leuten wissen, was sie wünschen. Andererseits stellt man sich in der Politik teilweise taub, wenn die Leute von sich aus sagen, was sie wollen. Mehr Bürgerbeteiligung würde aus dem Widerspruch herausführen. Von der Autobahnmaut bis zur Sterbehilfe gibt es Fragen, auf die jeder für sich antworten kann.

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