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Deutsches Wir - wer gehört dazu? Straßeninstallation in Potsdam zum Tag der Einheit

© Christoph Söder/dpa

Die Nation und ihre Fremden: Tag der deutschen Vielfalt

Deutschland feiert sich - und vergisst dabei allzu oft, dass der Begriff der Nation aus-, nicht einschließt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Ein paar dicke Brocken liegen auch 30 Jahre danach noch auf dem Weg zur Einheit - die dürftige Repräsentanz Ostdeutscher in den Chefetagen, dort die Generation Erben und die Mütterarmut, hier die Habenichtse, aber vollständigeren Frauen-Erwerbsbiografien. Trotzdem ließ sich dieses runde Jubiläum gut feiern, nicht nur des Wetters wegen. Was die Deutschen heute trennt, läuft quer zum Ost-West-Schema. Zwei Länder, die sich vor drei Jahrzehnten friedlich und im Einvernehmen mit Nachbarschaft und Verbündeten vereinten, sind trotz deutlicher Abstände, mental, wirtschaftlich, politisch, zu einem ziemlich erfolgreichen gemeinsamen Land zusammengewachsen.

Laschet forderte "die dritte deutsche Einheit"

Zwei Länder, schon darin liegt etwas Lästerliches. Die Leiterzählung der deutschen Einheit ist schließlich die von Willy Brandt: dass da nur zusammenwuchs, was ohnehin zusammengehörte. Ein Reparaturunternehmen war’s, das Kitten einer historischen Anomalie. Was den nationalen Festrednern nicht aufzufallen scheint: Diese Sicht verkleinert das Enorme, was 1989/90 und danach geschah. Auch wenn man die berechtigten grundsätzlichen Zweifel an der Idee der Nation als einer homogenen Gemeinschaft beiseite lässt: Im deutsch-deutschen Fall war sie nach vierzig Jahren Trennung nichts als eine Behauptung. Und bis heute hindert diese Sicht die dringende „dritte deutsche Einheit“. Armin Laschet, damals Integrationsminister in NRW, beschwor sie vor mehr als zehn Jahren; auf die Integration der Vertriebenen, auf 1990 müssten Einheit mit den und Gleichheit der Eingewanderten folgen. Er glaubt sicher noch dran. Drüber reden tut er, nun Kandidat als CDU-Chef, vielleicht fürs Kanzleramt, weniger. Man kennt seine Pappenheimer.
Auf deutsch kennt die Nation, ein Erbstück des 19. Jahrhunderts, Andere nämlich nicht als Zugehörige. Nichtweiße haben grundsätzlich kein Recht auf Clubausweise, auch wenn sie Goethe auswendig rezitieren können. Nur vor dieser Folie sind Hoyerswerda, Solingen, Mölln, die Pogrome nach 1990 zu verstehen.

Übernationale EU, doch am großen Rad drehen die Nationen

Nur so die Empörung, als Bundespräsident Wulff vor zehn Jahren den Islam symbolisch einbürgerte. Und nur so sind die unterschiedlichen Standards zu verstehen, die heute noch für Deutsche mit nichtdeutschen Wurzeln gelten: weniger Chancen auf Wohnung und Arbeit, Racial Profiling im Alltag. Die Europäische Union – Union wessen? – verrät an ihren Rändern die eigenen Grundwerte, lässt Geflüchtete in menschenunwürdigen Lagern vegetieren, statt sie in schrumpfenden und alternden Gesellschaften aufzunehmen, wo sie zudem dringend gebraucht werden.

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Weltweit lässt sich Politik – von Ungarn bis USA – immer öfter vom nationalen Phantasma bestimmen und regiert an der pluralen Wirklichkeit vorbei. Das kann nicht lange funktionieren und wird mittelfristig nicht allein die Menschenrechte der am Rand Kasernierten aushebeln, sondern auch die von uns im Zentrum. Sobald gefragt wird, ob man sich Menschenrechte noch leisten kann, sind die aller Menschen in Gefahr.
Sie werden es bleiben, solange die EU bleibt wie sie ist: Ein Staatenbund, in dem die das größte Rad drehen, die das altmodische Konzept Nation verewigen: die nationalen Regierungen. Schön wär’s, wir könnten am 3. Oktober 2030 den Tag der deutschen Vielfalt feiern. Und irgendwann statt der Vereinigten Staaten von Europa die Europäische Republik der vielen Einzelnen.

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