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Wie wird das Leben in Berlin in einigen Jahren aussehen? Der Grundstein dafür wird heute gelegt.

© dapd

Die Hauptstadt in der Zukunft: Berlin wird älter, enger, einsamer

Jeder fünfte Mensch in Deutschland lebt allein – an der Spree ist es schon jeder dritte. Auf die Frage aber, wie wir künftig leben wollen in dieser Stadt, ist Berlin nur auf dem Papier vorbereitet. Und es gibt einen, der dafür verantwortlich ist.

Berlin lockt, Berlin wächst, nicht nur Jüngere zieht es her. 3.501.900 Menschen, so viele wie seit Kriegsende nicht, lebten hier Ende 2011. Die Deutschen sterben aus? Nicht in den Großstädten, vor allem nicht in der Hauptstadt. Und der Trend geht weiter. Der Rücksturz in die Stadt hat die Lust aufs Land abgelöst, bei Familien mit Kindern, bei Senioren und bei Jungen gleichermaßen – weil es hier kurze Wege, viel Kultur, wohnnahe Schulen, gute Universitäten, medizinische Versorgung und einen funktionierenden Nahverkehr gibt. Aber auch, weil Stadtluft jede individuelle Freiheit zulässt. Doch je mehr sich ländliche Gebiete leeren, umso mehr Konflikte und Verteilungskämpfe wird es in den Städten geben. Das Labor Berlin ist schon mittendrin im Veränderungsprozess. Jeder fünfte Mensch in Deutschland lebt allein – an der Spree ist es schon jeder dritte: weil der Partner gestorben ist oder weil bei den Jungen eine hochmobile Lebensweise mit abnehmender Bindungsfähigkeit einhergeht.

Da kommt was zu auf Berlin. In der Stadt wird es in den kommenden Jahren älter, enger und einsamer werden. Die Reibung wird zunehmen. Der Mietanstieg gibt einen Vorgeschmack. Ferner Horror, dass New Yorks Bürgermeister Bloomberg 20-Quadratmeter-Apartments bauen lassen will, weil nur diese Mini-Wohnungen noch bezahlbar sind? Auch in Berlin sprechen Bauunternehmer schon davon, dass Wohnungen kleiner werden müssen, damit die Mieten erschwinglich bleiben. Beim Kampf um die knappe Ressource Wohnraum aber könnten Familien unterliegen. Singles werden sich das Ein-Raum-Apartment noch leisten können, eine Familie die Vier-Zimmer-Wohnung nur schwer.

Noch kann Berlin umsteuern, noch gibt es genug Raum in der Innenstadt, wo inzwischen selbst einstige Problemkieze auf dem Weg zu gesuchten Wohnvierteln sind. Noch hält eine wachsende Zahl von Kindern die Innenstadt lebendig. Längst aber registrieren die Sozialämter eine verschämte Armutswanderung an die Stadtränder; ein Wegzug von Familien könnte folgen. Da hilft es dann auch nicht mehr, dass griesgrämige Nachbarn nun höchstrichterlich verordnet Kinderlärm ertragen müssen und der Bau von Kitas in Wohnvierteln erleichtert wird. Dafür werden wir wieder über Großsiedlungen in Außenbezirken sprechen.

Wie wollen wir künftig leben in der Stadt?, wird zur zentralen Frage. Darauf vorbereitet ist Berlin nur auf dem Papier. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit hat den demografischen Wandel bereits 2009 zur Chefsache machen wollen. Seitdem gab es nicht viel zu berichten. Vor allem nicht, wie auf die Veränderungen reagiert werden soll; selbst ein Konzept, was gegen fehlende Wohnungen getan werden kann, soll erst 2013 vorliegen. Ohne Interessenausgleich, ohne einen Umbau der Infrastruktur wird es nicht gehen, vom Gesundheitswesen bis zum öffentlichen Nahverkehr.

Eine alternde Stadt benötigt eine neue Statik mit Gesundheitszentren, geriatrischen Einrichtungen, Alten-WGs und Pflegepersonal. Weil Alleinlebende doppelt so häufig durch Armut gefährdet sind wie der Durchschnitt der Bevölkerung, wird es neue soziale Angebote, mehr staatliche Fürsorge und finanzielle Hilfestellungen geben müssen. „Eine neue Qualität des sozialen Zusammenhalts“ hat der Regierende Bürgermeister in der rot-schwarzen Regierungserklärung im Januar 2012 versprochen. Im wachsenden, im lockenden Berlin kann man das leicht überhören.

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