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Den Atomausstieg haben die Grünen jetzt doch nicht ganz selbst gemacht. Nein sagen, können sie trotzdem nicht.

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Die Grüne und die Atompolitik: Jahrhundertfrage Atomausstieg

Haben die Grünen eigentlich eine Wahl? Man stelle sich nur einmal kurz vor, sie würden kommende Woche den Atomausstieg Angela Merkels ablehnen.

Von Hans Monath

Nein, könnten sie sagen, wir wollten die Nuklearmeiler doch schon vier Jahre eher abschalten. Und der Umstieg auf erneuerbare Energien geht uns auch nicht schnell genug. Der Kanzlerin würde dann das Gütesiegel der Anti-Atom-Partei für ihren Ausstiegsbeschluss fehlen. Sie könnte das verkraften, weil sie auch die SPD hinter sich weiß. Der Anspruch der Grünen aber, als politische Kraft das Land zu gestalten, würde im Moment einer solchen Abstimmung kollabieren.

Auch deshalb empfiehlt die Grünen-Führung den Delegierten nun ein konditioniertes Ja: ja zum Ausstiegsgesetz, nein zu den Begleitumständen wie dem Einsatz von Kohlekraftwerken. Etwas anderes wäre der Öffentlichkeit kaum zu vermitteln. In dem Moment, da nach 30 Jahren Kampf gegen Atomenergie das Ende dieser Technik naht, würden sich die Grünen mit einem Nein ins Abseits stellen und im Status der Dagegen-Partei einmauern. Und das ausgerechnet in einer Zeit, in der die Ökopartei mit Umfrageerfolgen und dem ersten grünen Ministerpräsidenten sogar den Volksparteien gefährlich werden kann.

Zwei historische Momente kommen zusammen – der eine in der deutschen, vielleicht der europäischen Wirtschaftsgeschichte, der andere in der Parteiengeschichte. Nur wenn sie geschlossen bleiben, können die Grünen beide Herausforderungen bestehen. Nicht allein ihre Unbeugsamkeit in der Akw-Frage machte sie stark. Sie mussten für ihre Position erst eine gesellschaftliche Mehrheit erreichen, um politisch wirksam zu werden. Den Konsens nun nicht zu nutzen und den Erfolg allein Merkel zu überlassen, wäre grob parteischädigend.

Schon grassiert die These, die Grünen würden bald ihre Daseinsberechtigung verlieren. Ein ähnliches Schicksal wurde vor 30 Jahren der SPD vorausgesagt. Damals begründete Ralf Dahrendorf die These vom Ende des sozialdemokratischen Zeitalters mit dem Erfolg dieser politischen Bewegung. Weil inzwischen fast alle Sozialdemokraten geworden seien, würden die sich zu Tode siegen.

In der Atomfrage sind inzwischen fast alle Deutschen Grüne geworden. Dahrendorfs Theorie hätte sich nur dann bewahrheiten können, wenn man die Gesellschaft auf dem Stand der 80er Jahre eingefroren hätte und nicht andere Probleme entstanden wären, die von den Totgesagten neue politische Antworten verlangten. Für eine ökologische Partei wie die Grünen bleibt wahrlich mehr zu tun, als nur in den kommenden elf Jahren über die Einhaltung des Ausstiegsbeschlusses zu wachen oder diesen in der Regierung selbst zu exekutieren.

Wer den Atomausstieg nicht bloß als bedauerliche Folge irrationaler Ängste, sondern als Gestaltungsaufgabe versteht, muss die historische Chance nutzen. Das Ziel lautet, auf der Grundlage des politischen Konsenses das gesamte Wirtschaftssystem so umzugestalten, dass die Klimaziele erreicht werden und der Raubbau an Ressourcen aufhört. Dieser Umbau hat gerade erst begonnen. Womöglich geht es, wie Winfried Kretschmann sagt, tatsächlich um eine Jahrhundertaufgabe. Ob sich spürbare und messbare Erfolge dabei schnell genug einstellen, damit nicht nur der Ärger um Stuttgart 21 seine Regierungszeit dominiert, kann heute niemand sagen. Angesichts der Dimension dieser Aufgabe ist das aber längst nicht die wichtigste Frage.

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