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Meinung: Der Fall Leuna: Aussichtslos, aber nicht abgeschlossen

Der "Fall Leuna" gilt gemeinhin als aussichtslos. Seit der Verdacht in der Welt ist, dass es bei der Privatisierung der Raffinerie Leuna und der ostdeutschen Minol-Tankstellenkette 1992 nicht mit rechten Dingen zugegangen sei, ist eine verwirrende Vielfalt von Hinweisen, Aussagen, Schriftstücken, Vermutungen zu dem Komplex aufgetaucht.

Von Robert Birnbaum

Der "Fall Leuna" gilt gemeinhin als aussichtslos. Seit der Verdacht in der Welt ist, dass es bei der Privatisierung der Raffinerie Leuna und der ostdeutschen Minol-Tankstellenkette 1992 nicht mit rechten Dingen zugegangen sei, ist eine verwirrende Vielfalt von Hinweisen, Aussagen, Schriftstücken, Vermutungen zu dem Komplex aufgetaucht. Die Puzzlestücke fügen sich durchaus zu einem Bild. Das Problem ist nur: Es ist nicht komplett.

Auch nach einem halben Jahrzehnt Nachforschungen lässt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen, ob das Bild nur eine blühende ostdeutsche Chemielandschaft zeigt oder ob auf einem der fehlenden Puzzleteilchen nicht doch noch zu sehen sein müsste, wie sich ein Strom schmutzigen Geldes durch dunkle Kanäle in CDU-Töpfe ergießt.

Wir wissen, dass der damals noch staatliche französische Erdölkonzern ELF 1992 den Zuschlag für den Kauf der maroden Leuna-Chemie und des nicht ganz so maroden Tankstellennetzes von Minol bekam. ELF versprach - und hielt sich daran -, im ehemaligen ostdeutschen Chemiedreieck eine moderne Raffinerie zu bauen. Die Bundesregierung versprach im Gegenzug, für Subventionen zu sorgen.

Ohne diese staatlichen Beihilfen wäre das Projekt für die Franzosen wenig attraktiv gewesen - ein Sachverhalt, der Dreh- und Angelpunkt der ganzen Affäre ist. Denn gut belegt - und von damals führenden ELF-Leuten keineswegs bestritten - ist ferner, dass die Franzosen die ihnen aus Afrika und anderen überseeischen Regionen bestens vertraute Praxis der "nützlichen Aufwendungen" auch im Fall Leuna geübt haben.

Schmiergeld ist bereitgestellt worden - 256 Millionen Franc, also etwa 80 Millionen Mark wanderten von Paris zu einer Liechtensteiner Briefkastenfirma. Der weitere Weg des Geldes aber ist eins der "missing links" in dieser Geschichte. Alle Versuche, den End-Empfänger ausfindig zu machen, enden in einem Dschungelgeflecht dubioser Herren und Konten.

Die frühere Bundesregierung, allen voran Helmut Kohl in seinen Eigenschaften als Altkanzler und Ex-CDU-Vorsitzender, hat jede Unregelmäßigkeit bestritten. Man habe, so die Verteidigungslinie, gar keinen Grund gehabt, sich von ELF den Zuschlag für Leuna abkaufen zu lassen. Schließlich habe niemand sonst ernsthaftes Interesse an der DDR-Chemieruine gehabt. Im Gegenteil, pflegt Kohl zu argumentieren: Wir hätten doch die bestechen müssen und nicht die uns.

Das klingt logisch unabweisbar. Ist es aber nicht. Als gewissermaßen nacktes Geschäft rechnete sich der Leuna-Deal für den französischen Staatskonzern in der Tat nicht; wahrscheinlich selbst dann nicht, wenn man den Kauf der Minol-Tankstellen als strategische Maßnahme deutet mit dem Ziel, im deutschen Markt mitzumischen.

Diese Sichtweise ändert sich aber, wenn man einbezieht, dass das Geschäft kräftig von der öffentlichen Hand subventioniert wurde. Rechnet man die Investitionszulagen ein, dürfte sich der Handel sehr wohl rentiert haben.

Hier tut sich nun das zweite "missing link" auf: Bislang ist weder der Verdacht gerichtsfest erhärtet worden, dass die Franzosen die Investitionssumme gezielt zu hoch kalkuliert und also Subventionsbetrug begangen haben, noch gar der Verdacht, dass die damalige Bundesregierung ein solches Spiel gekannt oder sogar gefördert haben könnte - und zum Dank Bares kassiert habe. Freilich hat die deutsche Justiz bisher auch nie recht nachgeforscht.

Kohl hat den Verdacht jetzt noch einmal mit der allfälligen Empörung zurückgewiesen. Nicht ganz so knallhart dementiert hat er eine - im Kern seit längerem bekannte - Aussage des Ex-ELF-Chefs Le Floch-Prigent, dass der selbst mit Kohl über das Leuna-Projekt gesprochen und die Zusage für Subventionen bekommen habe. Nach seiner Erinnerung und der seines Dolmetschers, so Kohl, habe dieses Treffen nicht stattgefunden.

Hätte es doch stattgefunden, wäre der Altkanzler in einer unangenehmen Lage: In seiner Darstellung war stets nur von Kontakten zur französischen Regierung und zum Präsidenten Mitterrand die Rede. Aber was sollte andererseits der frühere ELF-Chef davon haben, ein solches Vier-Augen-Gespräch einfach zu erfinden? Wir lernen daraus: Der Fall Leuna mag schier aussichtlos erscheinen - abgeschlossen ist er noch lange nicht.

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