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Ewige Baustelle: Roms Metro C. Auf der Piazza Venezia, sonst ein Autoverkehrsknoten, geht's während Corona voran.

© Alberto Lingria/dpa

Corona und danach: Wie raus aus dem Schlamassel?

Von wegen Nord-Süd-Gegensatz. Womöglich finden Italien und Deutschland auf Einiges ähnliche Antworten. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Wir stecken gemeinsam drin, #weareinthistogether – unter diesem Hashtag haben Europafreundinnen und Europafreunde aus Italien und Deutschland kürzlich dazu aufgerufen, die Folgen der Pandemie gemeinsam zu bewältigen. Es ging um medizinische Versorgung und, ja, auch um die berüchtigten Euro-Bonds, die den uralten Nord-Süd-Gegensatz unter Corona-Vorzeichen neu aufrufen, zwischen dem angeblich solide wirtschaftenden Norden und den liederlichen Schuldenmachern im Süden. Was daran Realität und Fiktion ist, was nordeuropäische Steuerparadiese mit der Misere im Süden zu tun haben, wird seither zum Glück wieder breit diskutiert, darum soll es hier nicht gehen. Zumal auf weniger ideologisch besetzten Feldern gerade sehr schön spürbar wird, dass wir tatsächlich alle gemeinsam drinstecken in ähnlichen Schlamasseln. Und die Auswege sich möglicherweise wenig voneinander unterscheiden werden – trotz unterschiedlicher Ausgangslagen.

Marktlogik im Gesundheitssystem in beiden Ländern

Beispiel eins: das Gesundheitssystem. Das italienische gilt wie das deutsche im Großen und Ganzen als ausgezeichnet, verfügt über gut ausgebildete Ärztinnen und Pfleger und, wenn auch nicht immer gleich verteilt, Ausstattung auf hohem technischen Stand. Dennoch ging das System in der Pandemie ausgerechnet im reichen Norden in die Knie – und dies vermutlich aus Gründen, die auch für Deutschland jetzt wieder diskutiert werden: Die jahrzehntelange Unterwerfung der Gesundheit – in Italien hat sie Verfassungsrang – unter Marktlogiken. In der wohlhabenden Lombardei war man damit weiter als anderswo. Während das System in Deutschland unter Rentabilitätsdruck ächzt, hat in Italien Privatisierung die wenig lukrative Versorgung der Fläche gefährlich ausgedünnt. Inzwischen bestürmen Ärzteinitiativen und Kommunen Rom und die Regionalregierungen, endlich die Richtung zu wechseln. Zwei Länder, aber eine Konsequenz: Nach Corona wird ein marktförmiges Gesundheitssystem in Italien wie Deutschland ein großes Legitimationsproblem haben.

Beispiel zwei: der Verkehr. In Italien wird gerade heftig diskutiert, dass die Phase zwei, die allmähliche Öffnung, keine Rückkehr zur jahrzehntelangen Normalität werden darf. Weil das einfach nicht funktionieren wird. Schon vor der Pandemie waren die Straßen in Italiens Metropolen Albtraumorte; nicht nur zu Stoßzeiten geht hier seit Jahrzehnten kaum etwas voran. Wenn jetzt Busse und Pendlerzüge wegen der Abstandsregeln nur noch teilbesetzt werden dürfen, kann mehr Autoverkehr dies nicht ausgleichen, es gibt schlicht keinen weiteren Stauraum.

Endlich wird Richtung Verkehrswende gedacht

Und zudem den starken Verdacht, dass Corona auch deshalb im Norden so schrecklich wütete, weil der Industriesmog dort den Lungen der Bevölkerung längst zugesetzt hatte. Weswegen die Verkehrsministerin in Rom und die assessori für Mobilität in den Städten und Regionen jetzt zum ersten Mal wirklich Richtung Verkehrswende denken. Die ÖPNV-Flotten sollen modernisiert und aufgestockt, die Anschlüsse für kombinierten Verkehr verbessert und - endlich, endlich - dem Zweirad so viel Platz geschaffen werden, dass sich in Mailand oder Rom nicht mehr nur Todesmutige in den Sattel wagen.

Ja, wir stecken gemeinsam drin. Auch wenn Vorhersagen schwierig sind: Sollte die Pandemie dazu führen, dass wir uns in Europa einige Fragen gemeinsam stellen und ähnliche Antworten finden, dann hätte ausgerechnet sie dabei geholfen, ein Stück Union wieder aufzubauen, das wir in den letzten Jahren vor allem bröckeln sahen.

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