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Christian Wulff: Der falsche Präsident

Christian Wulff musste gehen, weil er einfach nicht der Richtige für das höchste Amt war, meint unsere Autorin. Das Verhalten von Medien und Justiz im Winter 2011/12 war trotzdem nicht in Ordnung.

Von Antje Sirleschtov

Der Bundespräsident, daran muss man immer mal wieder erinnern, hat ein besonderes Amt. Er repräsentiert Deutschland, ernennt die Regierung und steht über der demokratischen Auseinandersetzung der Parteien. In ihm sammelt sich sozusagen die ganze Vielfalt der in Deutschland lebenden Menschen, ihr Lebensgefühl, ihre Kultur, ihre Nöte und Sorgen. Von ihm erwarten alle gleichsam Wegweisung, Verständnis und natürlich moralische Integrität.

Als die Bundesversammlung am 30. Juni 2010 Christian Wulff in dieses Amt wählte, war er bereits nicht der richtige Präsident. Und zwar nicht etwa, weil er zu jung war, aus der Provinz oder ein blasser CDU-Politiker mit zu großem Islamverständnis. Wulff verkörperte zu jener politisch und ökonomisch unsicheren Zeit einfach nicht das, was die Deutschen in ihrem obersten Repräsentanten sehen wollten. Der Richtige hieß damals Joachim Gauck.

Denn der sprach die Worte, die Linke und Konservative zugleich annahmen, Christen und Moslems, Staatsgläubige und Liberale. „Yes, we Gauck“ war weit mehr als ein rot-grüner Wahlkampfslogan. „Yes, we Gauck“ war der Ruf der Menschen nach ihrem obersten Repräsentanten.

Dass dennoch Wulff und nicht Gauck gewählt wurde, im dritten Wahlgang, hatte seine Ursachen in Schwäche und Angst der damaligen Regierung. Angela Merkel hatte den Ruf der Menschen nach Gauck nicht verstanden. Sie glaubte, ihren CDU-Kandidaten zur Erhaltung der eigenen Macht auf Biegen und Brechen durchsetzen zu müssen. Und die Mitglieder ihrer angeschlagenen schwarz-gelben Koalition besaßen in der Wahlkabine nicht den Mumm, sich dem Willen der Kanzlerin zu widersetzen.

Er musste gehen, weil er nicht der Richtige war

Das ist der wahre Grund dafür, dass Wulff am 17. Februar 2012 von seinem Amt zurücktrat. Er musste nicht gehen, wie Wulff heute im Rückblick in seinem Buch schreibt, wegen einer „beispiellosen Jagd“ auf ihn und auch nicht, weil Medien, Politik und Justiz, also das politische System insgesamt, versagt hat. Er musste gehen, weil er nicht erkannt hat und es bis heute nicht tut, dass er für dieses einzigartige höchste Amt im Land zu jener Zeit nicht der Richtige war. Weder als gesellschaftliche Integrationsfigur noch als Person. Die Menschen suchten Halt, den konnte er ihnen nicht geben.

Dass die Umstände, die dann zu Wulffs beispiellosem Fall geführt haben, die Republik dennoch bis heute beschäftigen, hat natürlich auch etwas damit zu tun, dass Wulff tief in ein undurchsichtiges Geflecht von Interessen verstrickt war, das längst an seine Grenzen gestoßen war. Die anhaltende Erinnerung ist aber auch ein Beleg dafür, dass bei den seinerzeit Beteiligten – Journalisten, Politikern und Staatsanwälten –, aber auch in der Öffentlichkeit das Gefühl geblieben ist, dem Menschen Wulff nicht gerecht geworden zu sein, von ihm mehr verlangt zu haben, als er leisten konnte.

Die Menschenwürde gilt auch für Präsidenten

Und zu diesem Gefühl besteht ja auch ein gewisser Anlass. Ob es die Verdächtigung war, der Bobbycar von Wulffs Sohn sei Teil eines Korruptionsdeals gewesen, oder der im hohen Ton formulierte Anspruch, innerhalb weniger Tage detailliert Antwort auf hunderte zum Teil intimste Fragen des Lebens der ganzen Familie Wulff zu geben: Wer heute zurückblickt auf jene drei Monate im Winter 2011/12, der kommt nicht umhin, sich daran zu erinnern, dass Maß und Mitte zum Handwerkszeug derer gehören müssen, die das Vertrauen der Öffentlichkeit genießen und damit immer auch Macht haben. Ob nun Journalisten, Juristen oder Politiker betroffen sind.

Denn: Wer die Autorität eines Millionenpublikums besitzt oder die Möglichkeit hat, mit seiner Unterschrift unter einen Antrag zur Aufhebung der Immunität einen Präsidenten zu stürzen, der besitzt Macht nicht nur über Ämter und Systeme, sondern auch über Menschen. Deshalb sollte vor einer Entscheidung jedes Mal der Zweifel um Rat gefragt werden. Denn die Unschuldsvermutung ist nicht nur ein Grundsatz des deutschen Rechtssystems. Mit ihr verbinden sich Achtung und Respekt vor der Menschenwürde. Auch der von falschen Präsidenten.

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