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Alltag für alle: Die Fachkommission Integrationsfähigkeit ist dafür, nicht mehr von Migrationshintergrund zu sprechen.

© Yuriko Wahl/dpa

Braucht die Realität neue Worte?: Ciao und güle güle, Migrationshintergrund!

Fachleute fordern die Abschaffung des Begriffs – er war hilfreich, aber er zeigt inzwischen Schwächen. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Es mutet unglaublich an, dass 25 kluge Fachleute in zwei Jahren am heftigsten um ein einziges Wort gerungen zu haben scheinen. Die „Fachkommission Integrationsfähigkeit“, die in dieser Woche ihren Abschlussbericht vorlegte, will, dass der „Migrationshintergrund“ abgeschafft wird. Nicht als Tatsache natürlich, aber er soll aus dem Amtsgebrauch, aus der Statistik vor allem, verschwinden.

Nur ein semantisches Problem? Die Kommission nahm es jedenfalls ernst genug, um drei (!) abweichende Stellungnahmen in ihren Bericht aufzunehmen. In Kommentaren und Socials kamen prompt die üblichen Versatzstücke: Haben die nichts Besseres zu tun? Oder: Die da oben verordnen dem Volk orwellschen Neusprech.

Der Orwell-Einwand lässt sich leicht entkräften. Auch die Vokabel „Migrationshintergrund“ war vor reichlich 15 Jahren nicht dem Volk vom Maul abgeschaut. Sie kam nicht aus der gesprochenen Sprache, die sowieso viel zu oft irrtümlich für unbestechlich, quasi für ein Naturereignis gehalten wird – siehe die Schlacht ums Gendern.

Nein, schon dieses Wort war eine politisch-bürokratischeErfindung. Aber eine glückliche. Als die Statistik ab 2005 auf den „Migrationshintergrund“ schauen musste, brachte das Deutschlands Selbstbild ordentlich durcheinander: Ein knappes Fünftel der Bevölkerung hatte ihn! Das Land war also längst vielfältig – und die ethnische Homogenität, die mancher und manche hochhielt, war längst nur noch Fantasie. Inzwischen besteht Deutschland zu gut einem Viertel aus „Menschen mit Migrationshintergrund“. Die Zahlen lieferten eine Handlungsanweisung an Politik und öffentliche Infrastruktur, Behörden, Pflege – und Schulen: Die Hälfte der unter Fünfjährigen ist inzwischen migrantisch.

Über die Jahre freilich traten zum Erkenntnisgewinn auch ein paar Kollateralschäden. Viele, denen das Etikett „Migrationshintergrund“ angepappt wird, reagieren allergisch darauf. Es mache „Anderssein durch staatliche Verordnung zu einem unauslöschlichen persönlichen Merkmal“, schreibt Barbara John im Bericht, vor bald 40 Jahren war sie Berlins und Deutschlands erste „Ausländerbeauftragte“. So sagte man damals.

Zu Ungleichheit und Diskriminierung, über die das Land zum Glück intensiv diskutiert, sagt der „Migrationshintergrund“ zudem nichts. Die Zweisprachigkeit eines Teenagers aus arabischer Familie gilt als Bildungshindernis, die einer Deutsch-Französin oder eines Italo-Deutschen als chic. Und beide werden im Regelfall auch ihrer Haut- und Haarfarbe wegen nicht schief angesehen. Sie hätten nach dem Willen der Kommission übrigens keinen Migrationshintergrund mehr. Was man schade finden kann. So würde die starke Realität europäischer Familien unsichtbar, des realen Zusammenwachsens Europas von unten.

So macht sich am Diskutieren über ein Wort die ganze Kompliziert- und Vielschichtigkeit von Migration fest, die Motivmischungen, die Menschen zum Wandern bringen oder zwingen und die nicht immer in die Kategorien des Grundgesetzes oder der Genfer Flüchtlingskonvention passen.

Nur ein Wort? Einmal lässt sich feiern, dass die Fachleute offenbar über 99 Prozent der Integrationsnotwendigkeiten Einigkeit erreichten. Zu dem Begriff aber lohnt die Lektüre der zehn Seiten dazu im Bericht. Der Streit um „Migrationshintergrund“ lässt besser verstehen, warum Migration und Vielfalt so kompliziert sind, oft schwer verständlich. Und so umkämpft.

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