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Auswärtiges Amt: NS-Vergangenheit: Studie der Befreiung

Ein Führer. Millionen Verführte. Das ist die Blaupause der Nachkriegslebenslüge eines Volkes. In mehreren Wellen wurden Nazitaten enthüllt, Nazitäter beschuldigt - dazwischen wurde verdrängt, verschwiegen, vertuscht.

Vom Verdrängen, Verschweigen, Vertuschen hat Außenminister Guido Westerwelle gesprochen, als er am Donnerstag die Studie der Historikerkommission zum Auswärtigen Amt vorstellte, und auch davon, dass die Rede Richard von Weizsäckers zum 40. Jahrestag des Kriegsendes eine entscheidende Wegmarke gewesen sei zur Aufarbeitung und zur Offenheit. Damals wurde diese Rede des Bundespräsidenten, in der er den 8. Mai einen Tag der Befreiung nannte, selbst als Befreiung wahrgenommen. Die Anerkennung, die Weizsäcker für seine Worte im Ausland erfuhr, schien sich zu übertragen auf das ganze Land. Im Nachhinein, vor dem Hintergrund neuer, vertiefter Erkenntnisse, aber auch konfrontiert mit dem immer wieder neuen Staunen über Altbekanntes, zeigt sich indes ein geradezu historischer Irrtum in der damaligen Rezeption.

Weizsäcker, dessen Vater – einst Staatssekretär im Auswärtigen Amt – wegen der Deportation von Juden nach Auschwitz vor dem Kriegsgericht der Alliierten stand, erklärte für sich und die Deutschen: „Wir brauchen und wir haben die Kraft, der Wahrheit so gut wir es können ins Auge zu sehen, ohne Beschönigung und ohne Einseitigkeit.“ Ein schillernder Satz, der Klarheit nur vortäuscht. Wie gut konnten wir denn? Wie gut konnte er? Wozu reicht die Kraft?

Die meisten Deutschen, sagte Weizsäcker, hätten geglaubt, für eine gute Sache zu kämpfen; erst nach dem Krieg habe sich für sie herausgestellt, dass sie „einer verbrecherischen Führung“ dienten. Die Ausführung des Verbrechens „lag in der Hand weniger“. Und noch ein wenig höher hangelte sich der Bundespräsident: Am Anfang der Gewaltherrschaft „hatte der abgrundtiefe Hass Hitlers gegen unsere jüdischen Mitmenschen“ gestanden. Ein Führer. Millionen Verführte. Dazwischen unsere jüdischen Mitmenschen. Das ist nichts anderes als die Blaupause der Nachkriegslebenslüge eines Volkes – und die seiner nationalkonservativen Oberschicht.

Diese Oberschicht, gemessen elitär, gut vernetzt, agierte stets in einem politisch weitgehend geschützten Raum, vor Hitler, mit Hitler, nach Hitler. Viele versteckten später ihren nur mühsam beherrschten Antisemitismus hinter der Geste des geistigen Oppositionellen, in vornehmer Abgrenzung zum proletenhaften Auftreten der Emporkömmlinge unter den Nazis, stets bekümmert um das Ansehen Deutschlands in der Welt. Dass etliche von der bevorstehenden „vollständigen Vernichtung“ der Juden nicht nur wussten, sondern auch darüber sprachen, wie Ernst von Weizsäcker 1938, es geschehen ließen und sogar daran mitwirkten, spielte nach 1945 schon bald kaum eine Rolle mehr. 1951, im Todesjahr Ernst von Weizsäckers, ebnete der Bundestag früheren Nationalsozialisten den Weg in den Öffentlichen Dienst, in die Behörden, Ämter und Ministerien. In mehreren Wellen wurden Nazi-Taten enthüllt, Nazi-Täter beschuldigt. Dazwischen wurde verdrängt, verschwiegen, vertuscht – und bei gegebenem Anlass der Geschichte und ihrer Opfer gedacht.

„Würden wir unsererseits vergessen wollen, was geschehen ist, anstatt uns zu erinnern, dann wäre dies nicht nur unmenschlich. Sondern wir würden damit dem Glauben der überlebenden Juden zu nahe treten, und wir würden den Ansatz zur Versöhnung zerstören.“ Auch das sagte Richard von Weizsäcker vor 25 Jahren. Das Aussprechen von Notwendigkeiten wurde damals nur allzu gerne mit dessen Vollzug verwechselt. Diese Geschichte ist noch lange nicht zu Ende.

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