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Protestdemonstration in Birmingham in dieser Woche.

© Oli Scarff/AFP

Antidiskriminierungsgesetz in Berlin: Kein Ende von Rassismus – aber mehr Mittel dagegen

Minneapolis ist nicht Berlin. Aber es gibt auch in Deutschland Grund für Gesetze gegen Rassismus in öffentlichen Institutionen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Während die Welt, auch Deutschland, noch unter Schock steht über die grausame öffentliche Tötung des US-Bürgers George Floyd durch Polizeibeamte in Minneapolis, wurde hierzulande weiter über das am Donnerstag verabschiedete erste Landesgesetz gegen Diskriminierung mit einer Verve diskutiert, als liege Berlin auf einem andern Planeten.

Nun ist ein Tod in Gewahrsam hier glücklicherweise sehr sehr viel seltener als in den USA. Aber Floyds Tod war Ergebnis von etwas, das nichts exklusiv Amerikanisches hat: Rassismus. Und darum geht es auch hier.

Von einer Klageflut gegen unbescholtene Behördenmitarbeiter ist die Rede, über Beweislastumkehr zuungunsten der Sicherheitskräfte wetterte CDU-Fraktionschef Burkard Dregger im Tagesspiegel-Interview. Von Generalverdacht gegen die Polizei spricht der Bundesinnenminister.

Wer sich noch an den Sturm gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz von 2006 erinnert, möchte zynisch werden. Auch damals wurde all dies ins Feld geführt, nichts dergleichen passierte. Wenn sich das Spiel dennoch wiederholt, was lehrt uns das? Womöglich, dass es sehr viele Menschen gibt, die sich die Möglichkeit nicht nehmen lassen wollen, ungestraft zu diskriminieren?

Die weniger zynische Lesart wäre: Es ist schlicht schmerzhaft zuzugeben, dass es Rassismus gibt, dass es ihn erst recht in einem Land weiterhin gibt, das Millionen Menschen rassistisch verfolgt und ermordet hat. Es ist beschämend zu wissen, dass Rassismus den Alltag, die Lebenschancen derer drastisch einschränkt, die er trifft. In einem demokratischen Land mit meist funktionierenden Institutionen, Verwaltung und Rechtswegen.

Was, wenn wir nicht gegen Diskriminierung vorgehen?

Was psychologisch verständlich ist, hat politisch Folgen, mit denen sich eine demokratische Gesellschaft nicht abfinden kann. Reden wir einmal nicht von Beweislastumkehr, sondern kehren wir die Denkrichtung um: Was ist denn, wenn diese Gesellschaft nicht gegen Diskriminierung vorgeht?

Dann nimmt sie es in Kauf, dass weite und wachsende Teile von ihr, gerade in einer diversen Stadt wie Berlin, sich als Bürgerinnen zweiter Klasse fühlen, dass sie vor Behördengängen Angst haben oder ihre Erfahrungen mit staatlichen Institutionen sie aggressiv machen.

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Dass sie durch die Vorurteile, die ihnen in der Schule entgegenschlagen, nicht das erreichen, was ihre Begabungen ihnen möglich gemacht hätten – zum Schaden übrigens auch von Wirtschaft und öffentlichen Haushalten. Solche Erfahrungen macht, auch in Deutschland, jede und jeder, deren Haar und Augenfarbe als nicht traditionell hiesig genug angesehen werden. Und Menschen mit schwarzer Haut treffen sie in der Regel noch unbarmherziger.

Gegen die Folgen eines lebenslangen Alltags in Ausgrenzung ist, pardon, die Möglichkeit, als Staatsbedienstete – Polizistin, Lehrer, Behördenchefin – wegen diskriminierenden Verhaltens eventuell zur Rechenschaft gezogen zu werden, eher ein Luxusproblem.

Dass es diese Möglichkeit nun gibt, wird dagegen das Vertrauen von Minderheiten zu Ämtern, Polizeiwachen und dem Schulsystem stärken – zu deren eigenem Vorteil.

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Dass Betroffene jetzt auch Hilfe von Verbänden mit Expertise bekommen können, dürfte aussichtslose Prozesse eher verhindern. Es wird Rassismus aber hoffentlich zu einem öffentlichen Dauerthema machen. Für die, denen er das Leben vergällt, ist er das sowieso.

Für alle andern: Die Denkrichtung zu wechseln kann nicht nur schmerzhaft sein, es kann auch befreien. Scham und Schweigen brechen und sagen: Ja, da ist etwas, und jetzt packen wir’s an. Das wird Rassismus nicht abschaffen, aber Möglichkeiten bieten, dagegen vorzugehen. Wie gesagt: zum Glück aller.

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