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Meinung: Abschreckendes Beispiel

Die CSU will Gott in die EU-Verfassung holen – und so die Türken draußen halten

Von Robert Birnbaum

Gehört der liebe Gott in die europäische Verfassung? Die CSU hat die Frage gerade vehement aufgeworfen und damit ein Projekt in die Schlagzeilen gebracht, das – allen Versuchen zur Popularisierung zum Trotz – bisher das Schicksal der gesamten Europapolitik geteilt hat: Sie gilt als schwierig, weit weg, ein bisschen unheimlich und findet darum unter weitestgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dass sich Europa eine Verfassung geben will, dürfte der Mehrzahl der Bürger unbekannt sein. Der Entwurf des Konvents unter Leitung des früheren französischen Staatschefs Giscard d’Estaing soll aber schon am Freitag fertig sein. Es wird ein spannendes Dokument.

Die Idee zur Europa-Verfassung ist alt. Lange Zeit ist nichts daraus geworden, weil sich die Staatenlenker nicht einig waren, was diese Europäische Union eigentlich sein soll. Viele Einwände der CSU, vorgetragen von ihrem Landesgruppenchef Glos, ruhen noch in diesem alten Streit darum, ob die EU am Ende nur ein Staatenbund sein solle oder doch so etwas wie ein Bundesstaat.

In der Praxis hat sich, unbeeindruckt von derlei Theoriedebatten, ein Sowohl-als-auch entwickelt. Die Notwendigkeit, das Chaos ein bisschen zu ordnen, ergab sich mit der Osterweiterung: Das künftige Europa der 25 kann nicht mehr mit den Notbehelfen von gestern gelenkt werden, es müssen verbindliche Regeln etwa über die notwendigen Beschlussmehrheiten her. Gleich einen Schritt weiter zu gehen und in einer Art Grundgesetz auch so etwas wie den inneren Kern zu beschreiben, der diese ganze Struktur zusammenhält, war ein logischer Gedanke.

Das Ergebnis ist eine recht „europäische“ Sache – die typische Brüsseler Mischung aus knüppelharter Interessenpolitik und Visionärem. Der Zank über den lieben Gott illustriert die Verschränkung von beidem. Vordergründig geht es ja um eine eher philosophische Frage. Im deutschen Grundgesetz findet sich der Bezug: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen“ beginnt die Präambel; die Formulierung stammt von dem Liberalen Theodor Heuss, und sie entstammt der furchtbaren historischen Erfahrung, wohin eine Herrschaft führen kann, die sich keinem Gott verpflichtet gefühlt hat, nur den eigenen Götzen. Andere Staaten haben diese Erfahrung nicht; Frankreich ist zum Vaterland der Aufklärung geworden im Kampf auch gegen die Kirche, die infolgedessen dort weitaus strikter vom Staat getrennt ist als in Deutschland mit seiner rheinisch-katholischen einerseits und seiner preußisch-protestantisch-staatskirchlichen Tradition andererseits.

Kämpfe von gestern, mag man sagen: Warum nicht Heuss’ Formel für Europa übernehmen? Die Antwort ist deprimierend einfach: Weil es der CSU gar nicht um Gott geht, sondern um Kämpfe von morgen. Glos hat es dankenswert offen ausgesprochen. Die Christsozialen wollen in der Verfassung eine Sperre gegen die Aufnahme der Türkei in die EU. Der liebe Gott soll die Muselmanen vom christlichen Abendland fern halten.

Wenn es je ein Argument gab, gegen den lieben Gott in der Europa-Verfassung zu sein – damit haben es die Christsozialen geliefert. Man kann sehr gute Gründe gegen die Aufnahme der Türkei in die EU vortragen. Der Verfassungsentwurf leistet übrigens die notwendige Abgrenzung; seine Charta der Grundrechte ist derart formuliert, dass die Türkei noch viel innere Wandlungen vor sich hat, bevor sie reif für die Wertegemeinschaft Europa wird. Man kann mit Gründen der Meinung sein, dass ein Beitritt der Türkei einen – auch in Religion wurzelnden – Kulturwandel bedeuten würde, den diese EU nicht verträgt. Über all das kann man reden. Aber nicht über Christentum als Bollwerk.

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