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Serdar Duran ist seit neun Jahren CSU-Mitglied. Als Kind ging er auf eine Demonstration gegen die Politik der Union.

© Armin Lehmann

„Meine Partei hat viel gegen Muslime gehetzt“: Warum Serdar Duran an Allah und an die CSU glaubt

Serdar Duran will in den Münchner Stadtrat – und ist Muslim. Dass so einer sich in der CSU heimisch fühlt, ist in Bayern eine Sensation.

Serdar Duran lässt seine Flyer, die ihn als Kandidaten der CSU für die Münchner Kommunalwahl vorstellen, noch in der Tasche. Er steht auf einem Hinterhof in Obersendling, 25 Minuten zu Fuß vom Hauptbahnhof entfernt; und nur bei genauerem Hinsehen wird erkennbar, dass dies kein üblicher Ort für christdemokratische Parteiarbeit ist, sondern hier eine Moschee und ein deutsch-islamisches Kulturzentrum beheimatet sind.

Sein Großvater hat Serdar Duran – 32 Jahre alt, in München geboren, die Eltern und Großeltern aus Anatolien stammend – hierhin schon als Kind mitgenommen. Hand in Hand seien sie immer zum Freitagsgebet gelaufen, sagt er. Das gemeinsame Beten – es habe ihm gefallen.

Dem Großvater, einem einfachen Mann, der 1963 nach Deutschland kam, um die Ecke wohnte und Münchens Straßen kehrte, war diese Moschee Heimat; für Serdar Duran, einen großen, geselligen Mann, ist sie im Jahr 2020 eine Welt, in die er wechseln kann wie in ein anderes Hemd. Für viele Deutsche, auch für sehr viele Menschen in der CSU, bleibt diese Welt eine fremde. Viele lehnen sie ab.

Duran, CSU-Mitglied seit neun Jahren, sagt: „Es ist viel gegen die Muslime gehetzt worden von meiner Partei, jetzt müssen wir die Scherben aufkehren.“ Dann zieht er seine Schuhe aus, im ersten Stock wartet der Imam.

Auf die härtesten Proben gestellt

Dass Muslime wie Serdar Duran sich in einer christlichen Partei überhaupt heimisch fühlen, ist nicht nur für die CSU selbst noch eine Sensation. Es gibt sie – aber ihre Parteiliebe wird ständig auf die härtesten Proben gestellt.

Am vergangenen Freitag hat die Partei, die das Christliche wie einen Schutzschild vor sich herträgt, diesbezüglich „eine Scharte ausgewetzt“. So formulierte es CSU-Generalsekretär Markus Blume am Ort des Geschehens. An jenem Abend exakt um 20.07 Uhr wählte die CSU in Neufahrn, bei München gelegen und von einem Grünen-Bürgermeister angeführt, Ozan Iyibas einstimmig zu ihrem Bürgermeisterkandidaten. Iyibas Eltern, Aleviten aus der Türkei, Bruder und Schwester saßen mit großem Stolz dabei.

Der 37-jährige Volkswirt und ehemalige Sparkassenangestellte, der sich als Unternehmensberater selbstständig gemacht hat, sagte dem Tagesspiegel in Neufahrn: „Ich will als Kandidat nicht auf meine Herkunft beschränkt werden. Ich bin mehr als Herkunft. Ich habe Kompetenzen, für die ich gewählt werde.“ Ozan Iyibas hatte dann noch das erzählt, was viele türkische Muslime in Deutschland kennen, Serdar Duran auch. In der Türkei sei er Deutschländer, in Deutschland der Türke, er wolle am liebsten „Heimatländer“ und ein „Türöffner“ sein.

Es klang wie eine große, unerfüllbare Sehnsucht.

In Neufahrn bei München wurde Ozan Iyibas einstimmig zum Bürgermeisterkandidaten gewählt. „Ich will als Kandidat nicht auf meine Herkunft beschränkt werden.“
In Neufahrn bei München wurde Ozan Iyibas einstimmig zum Bürgermeisterkandidaten gewählt. „Ich will als Kandidat nicht auf meine Herkunft beschränkt werden.“

© Armin Lehmann

Wenige Tage zuvor hatte ein ebenfalls muslimischer Kandidat der CSU in Wallerstein in der Oberpfalz seine Kandidatur zurückgezogen. Einige an der Basis hatten zu laut protestiert gegen den Muslim, sodass Sener Sahin, erfolgreicher Unternehmer, ehrenamtlich im Fußballverein engagiert und mit einer Katholikin verheiratet, fand: „Wenn sie mich nicht wollen, muss ich das nicht machen.“

„Falsch verstandene Toleranz lehnen wir ab“

Deutschlandweit war sogleich eine Diskussion über die Rückwärtsgewandtheit der CSU entbrannt. Das vermeintlich Fremde, es muss sich nach wie vor beweisen in der CSU. Zwar heißt das Grundsatzprogramm ausdrücklich alle Menschen in der Partei willkommen – „unabhängig von ihrem persönlichen Glauben“. Doch steht dort auch: „Falsch verstandene Toleranz, die unsere christlich-jüdisch-abendländisch geprägten Werte relativiert, lehnen wir ab.“

Die CSU-Spitze um Ministerpräsident Markus Söder reagierte aber schnell und eindeutig und verbreitete ihr „großes Bedauern“ darüber, dass in Wallerstein einige in der CSU noch nicht so weit seien. Die Partei nimmt den Vorfall sehr viel ernster, als sie zugeben darf, denn sie muss dringend Wählerschichten aus dem grünen, liberalen, migrantischen und städtischen Milieu gewinnen, wenn sie Volkspartei bleiben will.

Dabei ist die Widerborstigkeit der stramm Konservativen schon jetzt groß, ob bei Frauenquote, Bienenschutz oder der neu-grünen Ausrichtung der Partei. Und jetzt noch Muslime? Eine Studie des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration von 2018 müsste die CSU eigentlich bestärken, erstmals war die Union mit 43,2 Prozent beliebteste Partei unter den Personen mit Migrationshintergrund. Die schlechte Nachricht: In Bayern fühlen sich knapp 44 Prozent der Befragten muslimischen Glaubens diskriminiert.

Serdar Duran balanciert den Tee in die erstaunlich warme Januarsonne an einem Tisch im Hof der Moschee. Mehr als 200 Männer stehen jetzt draußen. Mit den Älteren redet er türkisch, mit den Jüngeren deutsch. Die meisten begrüßen seine Kandidatur für die CSU, ein langjähriger Freund, in Deutschland geboren, der kürzlich die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen und die türkische abgegeben hat, sagt: „Viele hier haben keinen Bezug zur Politik, zu Parteien, Serdar kann das ändern.“ Er wählt sonst nicht oder nicht CSU. Für Duran wird er eine Ausnahme machen, sagt er.

Ein Wutgefühl

Serdar Durans Großvater holte seinen Vater nach Deutschland als dieser 16 Jahre alt war. Später arbeitete der bei der Stadt im Sportamt als Hausmeister und Platzwart auf einer großen Sportanlage, die Mutter war Putzfrau. Beide haben wenig Schulbildung, aber sie interessierten sich immer für die Politik. Eine Geschichte, sagt Duran, wird er nie vergessen: Als er elf Jahre alt ist, soll der Vater aufgeregt zu ihm gesagt haben: „Wir gehen auf eine Demo, die wollen dir deine Zukunft verbauen.“ Dann verlangt er vom Sohn, er solle ein Plakat malen. Er versteht nicht viel von dem, worum es geht. Aber ein bisschen schon, denn er fühlt, dass er in zwei Welten zu Hause ist.

1998/99 ist die Zeit, als Roland Koch für die Landtagswahl in Hessen mit einer Unterschriftenkampagne der CDU gegen die von der rot-grünen Bundesregierung initiierte doppelte Staatsbürgerschaft zu Felde zog. Er gewinnt die Wahl trotz massiver Proteste und der Kritik, er würde rassistische Ressentiments schüren. Landauf, landab gehen Menschen auf die Straße für und gegen Kochs Initiative. Auf der Demo in München hält der kleine Serdar sein Bild hoch, zu sehen ist ein Mensch, der in der Mitte irgendwie geteilt ist. Heute lacht er darüber: „Ich war der Hit bei den Fotografen.“

Serdar Duran als Kind mit seinem Vater im Deutschlandtrikot.
Serdar Duran als Kind mit seinem Vater im Deutschlandtrikot.

© privat

Doch den Eltern ist es bitterernst. Sie sehen für ihn und seine Schwester nur eine gute Zukunft, wenn sie Deutsche werden. Die Mutter nimmt den Sohn immer wieder ins Gebet, er soll, wenn er 18 ist, sofort die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. Den angehenden Teenager Serdar politisieren die vielen Debatten um die Migranten in Deutschland, 2005 geht er als Schüler auf eine Demo des Ausländerbeirats, weil die CSU den muttersprachlichen Ergänzungsunterricht abschaffen will. Das Motto: „Muttersprache = Menschenrecht“. Gleichzeitig beginnt er sich zu fragen: „Wer bin ich?“

Deutscher – ist eigentlich die Antwort. Aber das, was er immer wieder erlebt, macht aus dem Deutschgefühl immer auch ein Wutgefühl. Als er älter ist und neben der Ausbildung noch Taxi fährt, hat er einmal ein Gespräch mit einem konservativen Bayern, der fragt, woher er komme. Aus München, habe Duran geantwortet. Der Mann habe nachgehakt: Wo er geboren sei? München, sagt Duran. Woher er wirklich stamme, will der Gast wissen. Duran verrät genervt den Familienhintergrund und der Mann verabschiedet sich mit den Worten: „Bist ein guter Türke.“

Trotz dieser Erlebnisse erhoffte er sich bei der CSU den größten Halt – denn, denkt er, bevor er eintritt, sie ist sehr stark.

„Bunte“ Liste: Ein Homosexueller, ein Muslim

Heute, bei Tee und Falafel, sagt Serdar Duran: „Ich habe mir aber zuerst von allen Parteien Unterlagen schicken lassen.“ Er weiß 2011 noch nicht, wie und wo, aber er weiß, dass er etwas bewegen möchte. Bei der SPD, findet er, seien schon viele Migranten und Türken, aber „bei der CSU gab es weit und breit niemanden, der was anschieben wollte“.

Er will. Er liest das Programm, ihm gefällt, dass die CSU „Politik machen will in der Verantwortung vor Gott“. Er meldet sich bei der Jungen Union in München zum Kegelabend an. Und wird Mitglied.

Dass er neun Jahre später nun zum zweiten Mal für den Stadtrat kandidiert, ist in der CSU nach wie vor so ungewöhnlich wie ein muslimischer Bürgermeisterkandidat. 2014, Duran war gerade JU-Vorsitzender im Ortsverein geworden, hat ihn der damalige OB-Kandidat der CSU vorgeschlagen, weil er unbedingt eine „bunte“ Liste präsentieren wollte. Ein Homosexueller, ein Muslim, Duran wurde auf Platz 30 der Liste gesetzt. Dieses Mal musste er den Weg durch die Parteiinstanzen machen – jetzt ist es Platz 32 geworden. Er ist stolz darauf.

Eigentlich hat die CSU bei rund 140.000 Mitgliedern nur einen aktuellen Mandatsträger mit muslimischem Hintergrund und Bekanntheitsgrad, und der wohnt in Erlangen rund zwei Stunden mit der Bahn von München entfernt.

Mehmet Sapmaz sitzt seit 2008 im Stadtrat von Erlangen, war mitverantwortlich für die Einführung des Islamunterrichts in Bayern.
Mehmet Sapmaz sitzt seit 2008 im Stadtrat von Erlangen, war mitverantwortlich für die Einführung des Islamunterrichts in Bayern.

© Patrick Guyton

Mehmet Sapmaz ist ein freundlicher Mann mit einem Hang zur feinen Ironie. Er sitzt seit 2008 im Stadtrat von Erlangen, war mitverantwortlich für die Einführung des Islamunterrichts als Pilotprojekt in Bayern. In seinem türkischen Lieblingsrestaurant sitzend sagt Mehmet Sapmaz: „Die pauschalen Vorurteile gegen den Islam wie jetzt in Wallerstein führen an der Basis zu einer Sippenhaft derer, die längst gesellschaftlich etabliert und integriert sind. Das ist traurig.“

Er selbst war sieben, als er mit den Eltern nach Deutschland kam, heute ist er Unternehmer, Finanzexperte für Exportfinanzierung. Er war der erste Akademiker der Familie.

Viel mehr Serdar Durans

Heute haben von elf Cousinen acht studiert. „Was sollen wir noch machen?“, fragt er spöttisch. Er habe sich gefreut, dass Markus Söder deutlich Stellung bezogen hat. Sapmaz sagt, auch deshalb glaube er, seine Partei sei auf dem richtigen Weg, aber es werde sehr lange dauern. „Weil es der stockkonservativen Basis jetzt schon zu schnell geht.“ Eigentlich wollte er nach zwölf Jahren im Stadtrat nicht mehr antreten, aber dann klingelte vor Wochen das Telefon und der bayerische Innenminister Joachim Herrmann höchstpersönlich meldete sich. Herrmann sagte ihm, die Partei sei als Volkspartei in einem großen Umbruch, und dafür „brauchen wir dich“. Sapmaz steht wieder zur Wahl.

In München trifft sich Serdar Duran nach dem Besuch in der Moschee am Abend im Hotel Goethe in der gleichnamigen Straße mit Vertretern der türkisch-islamischen Gemeinde. In diesem Hotel, davon zeugen die vielen Fotos an der Wand gleich gegenüber einem großen Atatürk-Gemälde, dem Begründer der türkischen Republik, waren schon fast alle CSU-Granden zu Gast. Ein großer Teil der Straße ist fest in der Hand türkischstämmiger Unternehmer, die Gemüseläden, der Supermarkt, die Apotheke, der Gold- und Juweliershop, die Kioske. Sie haben dem einst heruntergekommenen Ort – um die Ecke hat Arnold Schwarzenegger sich seine ersten Riesenmuskeln antrainiert – wieder Leben eingehaucht.

Einer der Gäste, ein türkischer Rechtsanwalt, der das türkische Konsulat berät, erzählt, wie er Anfang der 1990er Jahre versucht hatte, in der CSU in Nürnberg etwas zu werden. „Dich wollen wir hier nicht“, sollen sie ihm dort gesagt haben. Es sei doch ein Unding, dass es heute nicht längst viel mehr Serdar Durans gebe.

So Gott will

2014, als er auf Listenplatz 30 kandidierte, war er 27 Jahre und hatte keinen rechten Plan, wie Wahlkampf geht. Dieses Mal traut er sich offensiver, in beiden Welten zu werben – auf Türkisch und auf Deutsch. Dafür ist er in Online-Kommentaren schon heftig angefeindet worden. Platz 32 ist zwar auf den ersten Blick wenig aussichtsreich. Aber bei der Kommunalwahl dürfen die Wähler „häufeln“, sie können einem Kandidaten bis zu drei Stimmen geben und die von der Partei bestimmte Liste durcheinanderwirbeln.

Er arbeitet nun in der Ausländerbehörde der Stadt, Kreisverwaltungsreferat, 1. Stock, Zimmer 1087, Servicecenter für internationale Fachkräfte. Die Flure sind lang wie Kreuzfahrtschiffe und sie werden immer noch von türkischen Frauen gereinigt.

Duran sagt: „Ich wollte eine Position erlangen, in der ich nicht mehr diskriminiert werde.“ Jetzt erteilt er Hochqualifizierten aus dem Ausland Aufenthaltstitel, er grinst und sagt, „meine Bibel ist das Ausländerrecht und das Aufenthaltsgesetz“. Und wenn er ins Rathaus gewählt werde, dann wolle er sich auch um diese Themen kümmern.

Er findet, dass es sowieso nicht die Partei sei, die etwas bewirke, sondern die Menschen, die einzelnen Mitglieder selbst. Es ist eben immer eine Frage der Sichtweise – „auf den Menschen“. Muslimisch, christlich – Serdar Duran wünscht sich, dass solche Zuschreibungen irgendwann keine Bewertung mehr darüber ausdrücken, was ein Mensch kann.

2013, bei seinem ersten Bundestagswahlkampf, sprach auf der Abschlusskundgebung Kanzlerin Angela Merkel in München, neben ihr CSU-Parteichef Horst Seehofer. Eine ältere Frau, die an Durans Junge-Union-Stand gekommen sei, sagt, wie er erzählt, da vorne stehen doch nur alte Leute, „du musst kandidieren“. Duran antwortet: „So Gott will.“ Die Frau habe glücklich gelächelt und erwidert: „Ein christlicher Junge!“

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