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Keimzelle der Charité war das Pesthaus von 1709/10.

© Bildarchiv des Instituts für Geschichte und Ethik in der Medizin

Medizinmetropole Berlin: Zum Glück, eine Pest

Wundärzte, Trinkkuren, Pockenhäuser – und Robert Koch: Nach bescheidenen Anfängen hat Berlin Medizingeschichte geschrieben. Eine kleine Zeitreise.

In diesen Tagen hört man häufig die These, dass die Coronakrise auch ihr Gutes haben wird. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass es durchaus schon einmal so gekommen ist. 1709 bedrohte eine – ja – Epidemie Berlin, konkret: die Pest. Und so, wie man heute eine Klinik für Covid-19-Patienten auf dem Messegelände baut, befahl damals König Friedrich I. (wie sein Name schon sagt, der erste König in Preußen) die Errichtung eines Pesthauses weit nordwestlich vor den Toren der Stadt. Anders als im Jahr 2020 zog die Seuche an Berlin vorbei, das Pesthaus aber blieb und wurde zur Keimzelle dessen, was wir 300 Jahre später die „Charité“ nennen. Wir verdanken ihre Existenz einer Krise. Klar, die Medizingeschichte Berlins begann schon viel früher. Im Mittelalter wurden Operationen von Badern oder Wundärzten, „Barbiere“ genannt, durchgeführt. Der Bau des Pesthauses aber war ein fassbares, historisch gut dokumentiertes Ereignis mit lokaler Langzeitwirkung. Und Medizingeschichte ist in Berlin nun mal häufig, wenn auch natürlich nicht immer, identisch mit Charité-Geschichte.

1726 überzeugte Amtsphysikus Christian Habermaass König Friedrich Wilhelm I., im Pesthaus ein „Bürger-Lazareth“ für mittellose Kranke zu eröffnen. Es erhielt den Namen „Lazareth und Hospital vor dem Spandower Thor“. Der König selbst verfügte kurz darauf: „Es soll das Haus die Charité heißen“ – und betätigte sich damit unbewusst als genialer PR-Experte, denn der Name (einschließlich des schicken französischen Akzents) ist heute weltweit bekannt und als Marke von großem Wert.

Aderlässe und Trinkkuren

Charité, das kommt vom lateinischen caritas, also Barmherzigkeit, und tatsächlich war die Institution bis weit ins 19. Jahrhundert hinein vor allem ein Krankenhaus für Arme; wohlhabende Berliner ließen sich zu Hause behandeln. Mit heutigen Standards war das freilich kaum zu vergleichen: „Therapeutisch verfügten Ärzte an der Charité im 18. und frühen 19. Jahrhundert nur über eingeschränkte Möglichkeiten“, schreibt Thomas Schnalke, Direktor des Medizinhistorischen Museums, in einer Publikation zur Geschichte der Charité. „Gegen innerliche Krankheiten setzten sie auf pflanzliche Arzneien wie Brech- und Abführmittel, Aderlässe und Trinkkuren, diätische Empfehlungen und Hinweise für eine gesündere Lebensführung. Geschlechtskrankheiten versuchte man mit der Gabe von Quecksilber beizukommen.“

Medizin ist ein dynamisches Geschehen, und entsprechend dynamisch war auch die architektonische Entwicklung des Charité-Geländes. Berlin wuchs im 18. Jahrhundert zur Großstadt heran, das Pesthaus war längst hoffnungslos überbelegt. Ab 1785 wurde es, noch auf Weisung des ein Jahr später verstorbenen Friedrich II., umgebaut und erweitert – das so entstandene Gebäude hieß später die „Alte Charité“, dazu kam 1834 die „Neue Charité“. Heute existieren beide Bauten nicht mehr. Der Campus Mitte, wie er sich 2020 präsentiert, entstand größtenteils um 1900 herum. Ältestes noch erhaltenes Bauwerk ist ein Pockenhaus von 1836.

Ein bemerkenswerter Meilenstein war 1810 die Gründung der Universität mit medizinischer Fakultät, Gründungsdekan Christoph Wilhelm Hufeland war auch Leibarzt der Familie des Königs. Fast 150 Jahre lang bildeten Charité und Universitätsmedizin in Berlin zwei getrennte Institutionen, auch wenn im Laufe der Zeit immer mehr universitäre Einrichtungen auf das Gelände der Charité verlagert wurden. Formal vereint sind beide aber erst seit 1951.

Prominente Mediziner leben in Straßennamen weiter

Eine Medizingeschichte Berlins ist immer auch eine Geschichte prominenter Ärzte. Sie leben im heutigen Stadtbild vor allem durch die nach ihnen benannten Straßen weiter und prägen somit ganze Kieze in Kreuzberg und Prenzlauer Berg. Hufeland zählt dazu, aber auch der Chirurg Carl Ferdinand von Graefe und sein Sohn, Augenarzt Albrecht von Graefe. Oder der Operateur und Anästhesie-Pionier Johann Friedrich Dieffenbach und der Internist und Botaniker Johann Lucas Schönlein. Auch ohne Straßennamen berühmt sind zweifellos die Infektiologen Emil von Behring, Paul Ehrlich und natürlich Robert Koch, Entdecker des Tuberkulose-Erregers, der in der Corona-Pandemie durch das nach ihm benannte Institut, dessen Gründungsdirektor er war, zu neuer Prominenz kommt.

Bedenkt man, wie schwer es jahrhundertelang Frauen gemacht wurde, den Ärztinnenberuf zu ergreifen – Medizin studieren durften sie in Preußen erst ab 1908 –, verwundert es kaum, dass hier nur wenige von ihnen Erwähnung finden können. Franziska Tiburtius etwa richtete 1878 eine Poliklinik für minderbemittelte Frauen und für Kinder in der Alten Schönhauser Straße ein, durfte sich aber ein Leben lang nicht Ärztin nennen.

Der Berliner Sexualmediziner Magnus Hirschfeld musste Deutschland 1933 verlassen. Auf der anderen Seite steht Chirurg Ferdinand Sauerbruch beispielhaft für diejenigen Teile der Ärzteschaft, die sich den Nazis nahe fühlten. 1937 ließ er sich mit dem Deutschen Nationalpreis ehren. Und als Gutachter gab er, wie Medizinhistoriker Schnalke schreibt, seine Zustimmung zu Josef Mengeles Menschenversuchen in Auschwitz.

Nach dem Krieg wird in der DDR kurzzeitig diskutiert, die Charité umzusiedeln, doch es bleibt beim historischen Standort, der 1977 mit dem „Chirurgisch orientierten Zentrum“ (COZ), dem heutigen Bettenhaus, ein prägendes Bauwerk erhält. Seit 2003 sind die medizinischen Fakultäten aller Berliner Universitäten unter dem Dach der Charité vereint. Die Stadt schickt sich an, zur international ausstrahlenden Medizinmetropole zu werden. Und Persönlichkeiten wie der Charité-Virologe Christian Drosten schreiben die Geschichte prominenter in Berlin praktizierender Mediziner fort.

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