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Könnte es Liebe werden? C. (Jana McKinnon, links) und Nike (Alli Neumann).

© dpa

ZDF-Film "Wach": 86 Stunden Wirklichkeit

„Wach“, das Spielfilmdebüt von Teenie-Stars Kim Frank, zeigt ein Eigenexperiment zweier junger Frauen. Erstaunlich ist nahezu alles an dieser furiosen Irrfahrt.

Das vollgestopfte Vakuum unserer Überflussgesellschaft wird zusehends zu einem Ort wohlfeiler Distanzierungen. Facebook-Bashing ist besonders unter Facebook-Fans en vogue. In den Zeitungen stehen kritische Klimawandeltexte schon mal neben Kreuzfahrtreklame. Das richtige Leben im Falschen, um Adorno zu zitieren, ist eben weder schmerz- noch widerspruchsfrei zu haben. Das meint auch die 17-jährige C. (Jana McKinnon) und startet mit der gleichaltrigen Nike (Alli Neumann) ein Eigenexperiment emotionaler Emanzipation vom blindwütigen Konsumrausch ihrer Alterskohorte.

Beide wollen darin 86 Stunden ohne Drogen, aber mit einkaufswagenweise Junkfood „Wach“ bleiben, so der Titel des Films im „Kleinen Fernsehspiel“ des ZDF. Erstaunlich ist nahezu alles an dieser furiosen Irrfahrt durch die prekäre Existenz urbaner Teenager. Es beginnt schon in der ersten Minute. Charly, genannt C., liegt in ihrem freudlosen Jugendzimmer einer freudlosen Hochhaussiedlung am freudlosen Rande Hamburgs und begrüßt den Tag mit freudloser Masturbation. Sie wird jedoch nicht voyeuristisch ausgeschlachtet, sondern eröffnet die Erzählung einer Zeit, in der praktisch alles zum Selbstzweck verkommt, sogar das Allerinnerste.

„Ich will wieder was fühlen“, sagt C. daher aus dem Off und bricht mit Nike zur somnambulen Grenzerfahrung auf. Vor Übermüdung aufgekratzt, verlassen beide ihren Plattenbau, um sich blindlings ins Nachtleben zu stürzen. Sie erkunden ihr Revier, kriegen Stress, tanzen durch, bandeln an, landen nach verwegenem Roadtrip ans Meer auf einem Hoteldach, wo der Exzess endgültig zu eskalieren beginnt – und stets läuft dabei ein Smartphone, das ihr mediengesellschaftskonsumkritisches Experiment von der ersten bis zur 5160. Minute filmt.

Sidekicks von Alexander Scheer und Hanno Kofler

Diesen Widerspruch im Widerspruch nicht zur bloßen Nummernrevue der Generation Z verkommen zu lassen, hat da viele Eltern. Zunächst den Autor, Produzent, Regisseur, Cutter und Kameramann in Personalunion. Als Sänger der Schülerband Echt wurde Kim Frank selbst durch die Mühle der Aufmerksamkeitsindustrie gedreht. Zwei Jahrzehnte später hat der erfahrene Videoclip-Macher nun sein Spielfilmdebüt und zeigt darin, wie man der Jugend auch mit 36 dramaturgisch nahe kommen kann. Im Kreise bekannter Sidekicks von Alexander Scheer als Pornokonsument über Hanno Koflers Straßenschläger bis zur Türsteherin des Popstars Lary sorgen aber besonders die Hauptdarstellerinnen für Furore.

Das Schauspieltalent Jana McKinnon und die Songwriterin Alli Neumann verkörpern C. und Nike mit so sturer Intimität als Ghetto-Bitches, die beim Selbstfinden außerhalb ihrer Körper landen, dass die Hybris smartphonesüchtiger Social-Media-Kritiker seltsam aufrichtig wirkt. Umschwärmt von Philipp Schwaers präzisem Soundtrack zwischen technoider Kälte und Westerngitarrenwärme hagelt es zwar von Beginn an moralinsaure Bonmots wie „Alles auf der Welt dreht sich um Sex, nur Sex dreht sich um Macht“ oder „die Kamera sieht nicht die dreckige Wirklichkeit, die Kamera sieht nur, was wir wollen“; im Zickzack rasanter Bildwechsel wirken sie jedoch selten mal aufgesetzt, sondern kommentieren nur die Zerrissenheit eines Systems, das sich sehenden Auges in den drohenden Untergang feiert.

All dies macht „Wach“ zu einem wahrhaft wichtigen Film. Vor allem aber ist es ein wuchtiger, wilder, angenehm wahnsinniger und dabei sensationell unterhaltsamer Film. Gut, dass dieser erstaunliche Wachmacher um selbstverordneten Schlafentzug nicht nur um Mitternacht im Zweiten läuft, sondern da, wo ihn die Zielgruppe auch findet: im Netz der unendlich vielfältigen, unendlich zeitraubenden, unendlich erhellenden Möglichkeiten.

„Wach“, ZDF, von Montag auf Dienstag um 0 Uhr 05. Vier Stunden früher bereits in der ZDF-Mediathek und bei Youtube.

Jan Freitag

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