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Wie geht es weiter in der #MeToo-Debatte?

© dpa

Wie weiter mit #MeToo?: „Gerechtigkeit ist kein Gefühl“

#MeToo und Gebhard Henke: Warum die Debatte differenziertes Denken braucht. Ein Gespräch mit Feo Aladag und Heike Melba Fendel.

Frau Aladag, Frau Fendel, vor wenigen Wochen haben Sie einen offenen Brief verfasst, in dem Sie eine differenzierte Debatte zum mittlerweile gekündigten WDR-Filmchef Gebhard Henke und zu #MeToo forderten. Mehr als 30 Schauspielerinnen, Regisseurinnen und Agentinnen haben unterschrieben. Was genau wollten Sie erreichen?

FENDEL: Unser Brief und dessen Veröffentlichung fiel in die Tage zwischen Henkes Freistellung und der Geschichte im „Spiegel“, in der Vorwürfe gegen ihn erstmals konkretisiert wurden. Nun kann man sagen: Hättet ihr doch erst mal abgewartet, was genau gegen ihn vorliegt, bevor ihr losprescht. Jedoch wollten wir einem Unbehagen Ausdruck verleihen, das weit über den „Fall“ Henke hinausgeht. Ein Unbehagen über Medien, die Missbrauch vor allem entlang von Prominenz wahlweise von Opfern und Tätern zu verhandeln bereit sind und oft weniger offen oder redlich als einseitig agieren. Ein Unbehagen über Institutionen und Personen – Männer wie Frauen –, die sich mit einem Mal als Opferversteher inszenieren, wo sie zuvor im besten Falle Desinteresse gezeigt haben. Ein Unbehagen über die Mechanik der Vorverurteilung und des Rette-sich-wer-kann seitens einer Branche, die seit jeher Opportunismus als Conditio sine qua non erachtet.

Unser Brief hat gesagt: Prüft, denkt nach, lasst Luft ran.

ALADAG: Unser Ziel war, dass wir alle Debatten, die wir in diesem Zusammenhang von #MeToo führen, die Debatte um Gebhard Henke miteingeschlossen, bitte endlich anfangen etwas differenzierter zu führen, als es bis dato der Fall war und ist. Dass wir sie in der intelligenten Vielschichtigkeit verhandeln, die sie verdient. Dass wir in dieser Sache in den Medien, wie in allen Diskursen, nicht weiter einem Populismus verfallen, der in seiner Zuspitzung brandgefährlich ist. Dass wir den Medien noch einmal laut und klar hörbar zurufen wollten: Hört auf zu instrumentalisieren und hört bitte auf zu skandalisieren. Vor allem: Lasst den Stimmenkanon zu, der eine Demokratie – auch und gerade eine mediale – erst eine solche sein lässt. Denn nur der Dialog bringt uns weiter. Alles andere ist eine überhypte, leicht hysterische, in Teilen doppelbödig-sexistische Welle, die uns in ein paar Jahren allenfalls noch lau um die Füße plätschern wird – in einer Welt, die in dieser Sache noch immer da steht, wo sie heute steht.

Feo Aladag ist Produzentin und Regisseurin.igen #MeToo-Diskussion noch zu viel Populismus und Lust an der Skandalisierung.
Feo Aladag ist Produzentin und Regisseurin.igen #MeToo-Diskussion noch zu viel Populismus und Lust an der Skandalisierung.

© Independent Artists

Wie waren die Reaktionen?

ALADAG: Es gab sehr positive Reaktionen. Es gab aber auch jene, bei denen wir uns schon gefragt haben: Scheitert die differenzierte Auseinandersetzung hier am Populismus in dieser Sache, also auch am Opportunismus, oder an der Feigheit oder an einer Regression in Muster aus den 50er Jahren, oder scheitert sie an mangelnder Intelligenz? Fehlt uns gesamtgesellschaftlich und politisch schlicht der Mut für eine wahrhaftige, vielschichtige und tatsächlich umwälzende Auseinandersetzung mit diesem Thema? Oder ist sie in Teilen vielleicht auch noch immer gar nicht gewollt?

FENDEL: Es gab auch verstohlenes Lob, im Sinne von „Ich hätte mich das nicht getraut …“, vor allem aber extrem emotional geführt Anwürfe von Frauen, die fast immer im Vorwurf der fehlenden Solidarität und des victim blamings gipfelten. Ich bin tatsächlich nicht per se solidarisch mit DEN Frauen und allem, was sie beklagen oder fordern. Lagerdenken lehne ich ab. Moralische Generalvollmacht auch. Oft blieben diese Gespräche unversöhnt, immer wieder siegte aber auch die Erkenntnis, dass es eben nicht DIE Frauen mit der einen Meinung geben kann und muss. Warum man etwas tut, wovon man null persönliche Vorteile hat, also das hat blankes Unverständnis erzeugt. Auch die Frage, warum sich Frauen für einen „alten weißen Mann“ unter Grapschverdacht einsetzen, die mit ihrer Arbeit und Autonomie für ein – im landläufigen Sinne – äußerst fortschrittliches Frauenbild stehen. Genau hier muss der Diskurs aber ansetzen, wenn er einer sein will.

Überhaupt #MeToo: Sie wünschen sich mehr Differenzierung und weniger Kurzschlusshandlungen. Wie kann beim Casus des sexuellen Übergriffs differenziert werden?

FENDEL: Beim sexuellen Übergriff kann, muss und darf gar nichts differenziert werden. Bei dessen Verhandlung, Instrumentalisierung und Inszenierung im öffentlichen, vor allem aber medialen Raum allerdings sehr wohl. Es geht doch um die Frage, wie sich eine Vielzahl von Missständen in unserer Branche und Gesellschaft beheben lassen. Und da gilt ganz klar: Mit Empörung ist niemandem geholfen. Gefühle gehören auf die Leinwand, auf die Bühne, in Stadien und Arenen, da können und sollen sie kathartisch wirken. Gerechtigkeit ist kein Gefühl. Und ihr Erlangen keine Inszenierung, sondern politische Arbeit mit allen Mühen der Ebene und aller Bereitschaft, Dinge von allen Seiten her zu denken. Vor allem aber: Überhaupt zu denken.

ALADAG: Beim sexuellen Übergriff gilt schlicht: Tatbestand und Rechtsfolge. Punkt. Wenn es sich denn um einen solchen handelt. Diese Beurteilung, ob es sich um einen sexuellen Übergriff handelt, würde ich gerne in den Händen von Gerichten und nicht in denen von Medien vor umfassender Kenntnis der Faktenlage wissen.

Heike Melba Fendel ist Autorin und Agentin.
Heike Melba Fendel ist Autorin und Agentin.

© Dagmar Morath

Wie viel Heuchelei, wie viel Falschspiel steckt in dem Thema drin?

FENDEL: Na ja, vor allem stecken Druck und Angst drin. Angst, etwas Falsches zu sagen, zu tun, Gegenstand von Empörung und Ausgrenzung und beruflichen Nachteilen zu werden. Auch das gilt für Männer wie für Frauen. Angst führt zu Feigheit. Feigheit zur Dummheit. Mit Aufbruch hat das wenig zu tun. Einerseits ist es natürlich putzig, wenn mir viele Männer jetzt mit brechender Stimme sagen, wie unfassbar das alles für sei. Anderseits haben sie nie hingehört und verstehen wollen. Also nicht über den männlichen Tellerrand denken wollen. Ebenso wie all jene Frauen, die die laws of attraction für sich oder ihre Interessen zu nutzen wussten und damit kein Problem hatten, wenn man es ihnen vorgehalten hat.

ALADAG: Dazu nur: me too. Dem hab ich nix hinzuzufügen.

Jede Bewegung verliert unweigerlich an Schwung. Was muss #MeToo 2.0 sein?

ALADAG: #MeToo2.0 darf eben nicht #MeToo1.0 sein, es darf keine unterkomplexe Debatte sein, die Frauen klein und zu sexualisierten Opfern der Männer und ihren Begierden macht, anstatt Frauen zu stärken, im Beruf wie in ihrer Sexualität und im Setzen der eigenen Grenzen anderen gegenüber. Es darf in dieser Debatte nicht in erster Linie um „sexualisierte Gewalt“ gehen, es muss um Machtmissbrauch gehen und wie wir diesen – gemeinsam – eindämmen können. Dazu müssen wir Frauen selbst massiv viel beitragen, mit der Kritik am Mann an sich ohne den Willen, auch an den eigenen Dynamiken und Mechanismen zu arbeiten, wird es nicht gehen. Wir müssen in die absolute Eigenverantwortlichkeit. Nur daraus entsteht Gleichwertigkeit – und damit Partnerschaft. Wenn wir einander auf Augenhöhe begegnen, gewinnen Männer wie Frauen. Wir sind stark. Es ist Zeit zu handeln, gegen alle Widerstände, anstatt zu jammern.

FENDEL: Seit es #MeToo gibt, wird es immer wieder totgeredet, von wegen das „Thema“ sei durch. Ich glaube jedoch, wir stehen definitiv vor einem Epochenbruch. Einem Patriarchatsbeben. Und wenn die tektonischen Verschiebungen erfolgt sind, landen wir, so hoffe ich, nicht im Matriarchat, sondern in einem Miteinander, das diesen Namen verdient.

Der diskursive Weg ist erfolgloser

Erleben Sie, die Agentin und Autorin Heike Melba Fendel, und Sie, die Produzentin und Regisseurin Feo Aladag, bereits Wirkungen und Nebenwirkungen?

FENDEL: Natürlich. Und viele Maßnahmen und Vorhaben sind total vernünftig und wurden ja auch seit Langem gefordert. Schade nur, dass der politische und diskursive Weg so ungleich erfolgloser war als der über Skandalisierung, Tränen, Pathos und alles, was Hollywood uns so beigebracht hat. Am Ende kann man sagen: Hauptsache, die Frauen bekommen, was ihnen zusteht. Einerseits ja, andererseits wünsche ich mir, dass wir nicht tatsächlich oder im übertragenen Sinne dafür erst mal heulen müssen. Uns also so benehmen, wie man es gemeinhin von Frauen erwartet: emotional.

ALADAG: Ich möchte emotional sein dürfen! Wenn ich mir das verbieten muss, dann sind wir doch wieder gefangen in Erwartungen und dem Brechenmüssen selbiger! Ich bin Mensch, ich bin Emotion. Das wünsche ich jeder Frau und jedem Mann, dass wir uns das erlauben, zwingend bitte – aber, und das ist das große Aber: Ich möchte nicht, dass wir weiter Narrative von Frauen als Opfer pflegen, züchten und emsig nähren. Wir sind weit genug, wir können – wir müssen! – Grenzen setzen und jede Grenzüberschreitung gegen unseren Willen klar, deutlich, unüberhörbar decodieren und stoppen. Und wir müssen uns dabei gegenseitig unterstützen. Als Frauen, Männer und Frauen und als Gesellschaft, national wie international. Bitte gerne auch in aller Emotionalität.

Es wird zum Prozess zwischen WDR und Henke vor dem Arbeitsgericht kommen? Ist das die richtige Bühne, damit die #metoo-Debatte vorankommt? Wird das werden wie im Fall Kachelmann?

FENDEL: Wenn Sie mit Ihrer Frage meinen: Wünschen wir uns, dass wir Recht behalten mit unserem Respekt und unserer Solidaritätsbekundung für Henke, also sagen können: "Ätsch, siehste", dann sicher nein. Weil es nicht um Rechthaben geht, sondern darum, sich einer social media-Logik zu widersetzen, die nur schwarz oder weiß kennt. Ich fand es schlicht beeindruckend, dass 36 Frauen erst einmal gesagt haben, egal wer das jetzt genau wie finden wird, ich stehe auf und sage, ich habe mit dem Mann, Jahre, ja Jahrzehnte zusammengearbeitet und schätze ihn. Das relativiert ja nichts. Das ist eine Einzelaussage, die zu treffen inzwischen Mut erfordert. Es heißt immer, die Opfer, die nach außen treten, seien mutig. Aber die werden doch längst kollektiv gefeiert, jede einzelne. Was okay ist. Nicht okay ist für mich, wenn Protagonisten unserer Branche sich nicht trauen, Position zu beziehen, weil sie berufliche Nachteile befürchteten. Nachteile muss man eben auch mal in Kauf nehmen. Wer etwas verändern will, braucht Mumm und Strategie. Die erwarte ich auch und gerade auch von Frauen. Gerichte tun, was Gerichte tun, da habe ich nichts zu kommentieren oder prognostizieren.

Die Kreativwirtschaft richtet eine Beschwerdestelle ein. Taugt diese Idee etwas?

FENDEL: Ja, auf dem Papier.

ALADAG: Kann ich noch nicht beurteilen. Behandelt in erster Linie aber das Symptom. Nicht die Ursache.

Das Interview führte Joachim Huber.

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