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Medien: Wie viel Kanzleramt steckt im „Kanzleramt“?

Mit viel Lärm startet das ZDF eine Serie über das politische Berlin und seinen Regierungschef. Und mit erstaunlich wenig Leben

In Berlin, da gibt’s ein Kanzleramt. Und davor gab es eines in Bonn. Womit bereits entschieden ist, dass es reine Fiktion wäre, eine Fernsehserie über das Kanzleramt produzieren zu wollen, die reine Fiktion sein wollte. Sollte man es also nicht gleich besser ganz lassen? Nicht doch! Selbstverständlich ist es eine vorzügliche Idee, eine zeitgemäße obendrein, der großen Politik mit unterhaltungsdramaturgischen Mitteln beikommen zu wollen. Ob es tatsächlich, wie allenthalben beteuert, Heldenmut erfordert, was das ZDF am Mittwoch beginnt, nämlich zur besten Sendezeit im Wochenrhythmus einen Zwölfteiler „Kanzleramt“ am Abend auszustrahlen, mag die Quotenverantwortlichen bewegen. Grundsätzlich ist nicht einzusehen, wieso ein derart spannendes Sujet nicht funktionieren soll. Mord und Totschlag, die besten Garanten für große Fernsehserien, sind ja auch nicht per se unterhaltungsaffin. Und spannender, aufregender als der Alltag in einem Kriminalkommissariat ist das Leben in der Politik, im Kanzleramt für wahr, allemal.

Auch darin liegt die große Chance: Die journalistischen Realabbildung des politischen Alltags im Fernsehen – und nicht nur dort – entfernt sich immer weiter vom Eigentlichen: Die Nachrichten liefern kaum noch mehr als Schlagwörter zum Zeitgeschehen. Die Magazine versuchen sich mit Lautem und Nutzwertigem über Wasser zu halten, wo früher die halbdunklen Hintertreppen und -zimmer des politischen Geschäfts unerschrocken ausgeleuchtet wurden. Und auf jenen Sendeplätzen, die früher so grundverschiedene Temperamente wie Claus-Hinrich Casdorff oder Günther Gaus in der je ihren Weise als Hebammen der Aufklärung ausfüllten, haben sich nunmehr die Christiansens, Maischbergers und andere, bei denen sich niemand im letzten sicher sein kann, wie weit sie es in Sachen Staatsbürgerkunde mit einem ernsthaft integrationswilligen Zuwanderer aufnehmen können, recht selbstgewiss fest eingerichtet. Kurz gefasst: Die professionelle Medienbegleitung der Politik hat über die Jahre so viel Terrain aufgegeben, dass Stoff und Raum im Übermaß für spannende Fernsehunterhaltung vorhanden ist.

Diese Chance zu nutzen, waren sie beim ZDF wild entschlossen. Nichts an Kosten, Aufwand, Mühe wurde gespart: Starbesetzung (die Tatort-Kommissare aus Köln und Hamburg, Klaus J. Behrendt und Robert Atzorn, mimen den Kanzler und seinen Amtschef). Ziemlich authentische Ausstattung (abgesehen von Lässlichkeiten wie jener, dass das ICC weder als Drehort für den Flughafen Tegel im Allgemeinen noch für dessen karge Barackenlandschaft, der tatsächlich den Polit-VIPs vorbehalten ist, taugt). Externer Sachverstand (Martin E. Süskind, früher Redenschreiber bei Willy Brandt, Büroleiter der „Süddeutschen Zeitung“ in Bonn und Chefredakteur der „Berliner Zeitung“, stand als Berater und Co-Autor der Drehbücher bereit). Ausgewiesene Serien- und Filmprofis als Regisseure und Produzenten. Das riecht nach Erfolg. Guter Unterhaltung.

Schließlich: Die Themenmischung stimmt: Haupt- und Staatsaktionen, Innenpolitik und Außenpolitik, eine angemessen undezente Prise Sex and Crime, die Politiker sind auch Menschen (bauen Verkehrsunfälle und kommen daher zu spät zum Dienstantritt am ersten Tag oder haben – so der Kanzler – Nachwuchs, der auf das Sympathischste nachpupertiert und den ganzen Sicherheitsaufwand um den Herrn Papa und seine Tochter einer Haftanstalt für würdig empfindet), mal sind sie nett und manchmal böse. Nicht zuletzt haben die politischen Ideale im tagtäglichen Kampf mit taktischen Erwägungen keinen allzu leichten Stand. Ja, das alles gibt es in der Politik, so ist die Politik.

Überhaupt ist alles im Fernseh-Kanzleramt sehr, sehr nahe an der Wirklichkeit: Tabaksteuer als Joker der Haushaltsführung. Reformpolitik als Angang für die Seele der Gutmenschen. Deutsche Touristen als Geiselopfer in der Dritten Welt. Ohrfeige zum Nachteil des Kanzlers. Vertrauensfrage als ultima ratio politischer Überlebenstechnik. Treue und Intrige. Der Regierungschef als internationaler Handlungsreisender in Sachen deutscher Wirtschaft und Nothelfer angeschlagener Konzerne. Islamistischer Terror. Russische Beutekunst. Nervosität vor einem Parteitag … Kaum ein Stichwort von Belang aus jüngsten Jahren fehlt. Diese TV-Serie ist wirklich sehr nahe dran.

Vielleicht ist sie gerade deshalb der Wirklichkeit so fern. So viel Nähe zur Realität geht zwangsläufig auf Kosten der künstlerischen Freiheit, die sich dann nur noch im Arrangieren der Themenblöcke ausprobieren kann. Die Verantwortlichen des ZDF-Kanzleramtes beteuern immer wieder, ihr Kanzler sei nicht Schröder. Ehrlich ist das, es stimmt. Und doch wirkt es albern, wenn man sich an Schröders Agenda vor authentischer Kulisse abarbeitet, beim Personal jedoch auf das Fiktive, nicht auf das Wirkliche, sondern das Mögliche abzielt.

Ach, wäre das doch bloß albern! Denn so ist es auch unglaubwürdig und synthetisch. Halberfundene Typen, gefangen in echter Szene, können gar nicht anders sein. Doch der Preis der Nähe ist noch etwas höher. Weil die Handelnden im Film vom Zuschauer nahezu unwillkürlich mit den Handelnden im echten Leben verglichen werden, ist es einerseits gut, dass die TV-Politiker sich nicht in die Karten schauen lassen. Die Missverständnisse über die Wirklichkeit würden sonst noch größer. Andererseits muss man so mit Instant-Ware vorlieb nehmen. Wie sie denken, wie sie fühlen, wie riechen, wie sie schmecken, mit einem Wort: wie diese Politiker ticken, erahnt man nicht. Sie bleiben ziemlich leblos. Zuweilen drängt sich sogar der Eindruck auf, dass diese Kanzleramts-Menschen in Wirklichkeit gar nicht miteinander sprechen, sondern eher zum Zuschauer. Ihre Sprache, der Jargon jedenfalls ist nicht echt – und nicht nur Tonfall und Tonart, die Dialoge stimmen einfach nicht.

Sehr weit ist diese Produktion damit vom internationalen Standard entfernt, vom „West Wing“ über das Weiße Haus und noch weiter vom Meisterwerk dessen, was die Angelsachsen Faction nennen, der BBC-Verfilmung der Westminster-Romane von Michael Dobbs. Diese bitterböse, superspannende und alles andere als humorfreie TV-Unterhaltung ist so gut gelungen, weil sie konsequent aus der Ich-Perspektive des Fraktionschefs der Regierungspartei, der sich anschickt, Maggie Thatcher zu stürzen, erzählt. Dabei trägt die fiktive Figur allerdings alle Züge, die der Eisernen Lady nachgesagt werden. Diese Mischung aus Verfremdung und Überzeichnung ins Unglaubliche gestattet es dem Zuschauer, der Politik und ihren Matadoren ganz nah zu kommen. Das ZDF indes bestätigt eine Einsicht ihres Superstars Thomas Gottschalk. Vor zehn Tagen begrüßte der Entertainer in Hollywood Edmund Stoiber mit den Worten: „Das einzige, was in Deutschland noch schwerer als Regieren ist, ist Unterhalten.“ Ein schönes Motto für die Serie!

„Kanzleramt“: ab Mittwoch,

ZDF, 20 Uhr 15

Peter Siebenmorgen

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