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In Deutschland lief die US-Serie „Breaking Bad“ zunächst jenseits des großen Publikums nur bei Arte. Davon profitieren Online-Plattformen wie Watchever. Foto: Arte

© pa/obs/ARTE/2010 Sony Pictures T

Video on demand: Das Millionenspiel

Filme und Serien auf Abruf: Aus einem Internet-Nischenprodukt wird ein Massenphänomen. Die Branche erwartet bis zu zehn Millionen Kunden bereits in wenigen Jahren.

Noch zeigt die Fernsehnutzung eher geringe Ausschläge. Wenn die Deutschen vor ihren TV-Geräten sitzen, wird nach wie vor hauptsächlich das angesehen, was ihnen die klassischen Fernsehsender vorsetzen, und zwar genau dann, wenn ARD, ZDF, RTL oder ProSieben es ausstrahlen. Doch das Bild wandelt sich. Mit den smarten, internettauglichen Fernsehern, mit Videokonsolen, mit denen man nicht nur spielen, sondern eben auch auf das immer stärker wachsende Angebot von Mediatheken und Video-on-demand-Plattformen zugreifen kann, machen die Zuschauer von dem Angebot regen Gebrauch und werden zu ihren eigenen Programmchefs. „Noch addieren sich die neuen Angebote zwar offenbar zur klassischen Fernsehnutzung, aber wir wurden ziemlich überrascht davon, wie viel Zeit unsere Abonnenten bei uns verbringen“, sagt Stefan Schulz, Geschäftsführer der Abruf-TV-Plattform Wachtever.

Die klassischen Free-TV-Sender haben ihren Zenit möglicherweise bereits überschritten. Bis zum Jahr 2012 ist die tägliche Fernsehnutzung in Deutschland auf 369 Minuten gewachsen, seitdem ist sie um neun Minuten gesunken. Neben den Stationen, die über die klassische Fernbedienung erreicht werden können, haben sich die Fernsehdeutschen inzwischen an eine Reihe neuer Namen gewöhnt. Verpasste Sendungen gibt es in den Mediatheken von ARD, ZDF oder Arte, bei der Maxdome-Plattform der ProSiebenSat1-Familie oder bei RTLnow. Und ist erst einmal der Internetzugang des Fernsehers eingerichtet, sind plötzlich ganz andere Dinge möglich. Vor allem Abo-Dienste wie Watchever oder der zu Amazon gehörende Anbieter Lovefilm werden mit ihren großen Film- und Serienkatalogen zur attraktiven Ergänzung.

Die Nachfrage nach Filmen und Serien aus dem Internet steigt rasant. Der zum Jahresanfang gestartete Dienst Watchever, ein Tochterunternehmen der französischen Vivendi-Gruppe, verzeichnet stark steigende Nutzerzahlen. In den ersten Monaten kam Watchever auf 2000 neue Abonnenten täglich, inzwischen sind es 5000. „Video on demand ist im letzten halben Jahr zum Massenprodukt geworden“, sagt Geschäftsführer Stefan Schulz. Wegen der starken Nachfrage hat das Unternehmen bereits zusätzliche Serverkapazitäten in Frankfurt angeschafft. Nach Schulz’ Schätzungen nutzen zwischen 700 000 und 800 000 Menschen die deutschen Abrufangebote. Doch der Markt startet gerade erst durch. In fünf Jahren, so wird in der Branche gerechnet, werden zwischen fünf und zehn Millionen Deutsche ihr Programm durch Video-on- demand-Angebote anreichern. Zum Vergleich: Der Abosender Sky hat in Deutschland rund 3,4 Millionen Abonnenten.

Der große Hoffnungsträger der Video-on-demand-Branche heißt Netflix. Weltweit kommt das US-Unternehmen inzwischen auf 40 Millionen Abonnenten. Damit hat Netflix sogar den US-Abosender HBO mit seinem beinahe legendärem Serienangebot überholt. Von US-Verhältnissen ist Deutschland jedoch weit entfernt. Zudem kann ein Dienst wie Watchever bei einem Abo-Preis von unter neun Euro im Monat nicht mit Online-Videotheken wie iTunes von Apple konkurrieren, wenn es darum geht, Blockbusterfilme wie den „Hobbit“ zuerst anzubieten. Dort kostet der Abruf eines einzigen Films in HD-Qualität schnell sechs Euro. Schulz sieht Watchever entsprechend eher in der Rolle des Davids, der gegen die ganz Großen der Branche ankämpft. Für ihn kann es nicht darauf ankommen, die Mega-Blockbuster möglichst schnell in seinen Katalog aufzunehmen. Er sucht nach Inhalten, die wie „Breaking Bad“ von den Sendern stiefmütterlich behandelt wurden. Und genauso gebe es großartige Filme oder interessante Dokus, die noch unentdeckt sind. Der Katalog der Vivendi-Tochter ist von 8000 Film- und Serienangeboten auf inzwischen 12 000 gewachsen.

Watchever hat inzwischen 12 000 Titel im Katalog

Die Technik hinter den Video-on-demand-Angeboten wird immer einfacher, vor allem aber nimmt die Zahl potenziellen Empfangsgeräte immer weiter zu. Watchever ist auf neuen Smart-TV-Geräten von Samsung, LG, Philips und Panasonic vorinstalliert. Zudem kann der Dienst über die Spielekonsolen Xbox und Playstation und über AppleTV abgerufen werden. Hinzu kommen Tablets, Smartphones und Fernseher. Andere Anbieter pflegen andere Kooperationen. Auf neuen Sony-Fernsehern ist zum Beispiel die Lovefilm-App ab Werk dabei.

Wachstumsmöglichkeiten sieht Schulz nicht zuletzt bei deutschen Inhalten. Schimanski-Krimis gehören schon jetzt zum Angebot, besonders freut er sich auf die zehnteilige Dominik-Graf-Serie „Im Angesicht des Verbrechens“, die in Kürze dazukommt. Das Nein des Bundeskartellamtes zur geplanten gemeinsamen Online-Mediathek Germany’s Gold von ARD und ZDF ist möglicherweise auch für die Abrufdienste eine Chance. Die öffentlich-rechtlichen Sender kämpfen zwar gerade darum, die Sieben-Tage-Regel zu kippen, nach der die meisten ihrer Inhalte aus den Mediatheken entfernt werden müssen. Bei den für die Rundfunkpolitik zuständigen Bundesländern wird das Verständnis für diesen Wunsch derzeit auch gerade spürbar größer. Doch der Widerstand der Privatsender, die mit ihrem Projekt Amazonas ebenfalls gescheitert sind, ist vorhersehbar. Auch sonst ist man nicht unbedingt gut auf die neue Konkurrenz zu sprechen. So hat das ZDF einige Inhalte bislang kostenpflichtig über die Plattform Maxdome angeboten. Ein Wechsel zu Watchever oder Lovefilm wird da nicht gern gesehen. Zumal Netflix mit der exklusiven Erstausstrahlung der Serie „House of Cards“ gezeigt hat, das eine Online-Videothek auch in direkten Wettbewerb zu den Sendern treten kann.

Watchever hat vergleichbare Pläne mit zwei Vivendi-Eigenproduktionen. Von Dezember an können die Abonnenten „Les Revenants“ exklusiv bei Watchever anschauen, im Januar folgt die französische Krimiserie „Braquo“. Auch eine Produktion für den deutschen Markt ist geplant. Schulz will sich nicht in die Karten schauen lassen und spricht allgemein von einer hochkarätig besetzten Dramaserie, die zusammen mit einem führenden deutschen Produktionsstudio entstehen soll. Ansonsten sagt er, was es eher nicht wird: weder Krimi noch Komödie, und schon gar nichts Amerikanisches.

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