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Anne Will und ihre Gäste diskutieren den Fall Maaßen.

© dpa/NDR/Wolfgang Borrs

TV-Talk Anne Will zum Fall Maaßen: Die zweite Garnitur läuft nicht recht warm

Talkgastgeberin Anne Will bekam zum Thema Maaßen nicht die gewünschten Gäste. Die, die dann kamen, debattieren ein brennendes Thema sehr unterkühlt.

Er ist nicht da, natürlich. Normalerweise zählt der Verfassungsschutzchef zwar zu den redseligsten politischen Beamten im Land, stets bereit zur klaren Kante Richtung Mikrofone der Medienrepublik. Aber wäre Hans-Georg Maaßen zu „Anne Will“ gekommen – er müsste sich im cremefarbenen Polstermobiliar ihrer Talkshow ja womöglich ganz ohne die Absicherung äußern, hinterher alles nicht so gemeint zu haben, wie er es in Sachen Hetzjagd, Authentizität und Mord in der „Bild“-Zeitung getan hatte.

Dummerweise ist am dritten Septembersonntag im Ersten aber auch Maaßens Dienstherr, Innenminister Horst Seehofer, nicht zugegen. Ebenso wenig übrigens wie dessen CSU-Kollege Alexander Dobrindt, eine Obfrau des Bundestagsinnenausschusses oder sonst wer mit Gewicht unter all denjenigen, die dem obersten Grundgesetzschützer noch unverbrüchlich die Treue halten. „Alle eingeladen“, sagt die Moderatorin spürbar genervt, „alle abgesagt“. Und so diskutiert die zweite, Tendenz vierte Garnitur des hiesigen Talkshow-Personals übers drollige Titel-Wortspiel „Streit um Maaßen – in welcher Verfassung ist unsere Demokratie?“.

Zwischen Martin Schulz und Georg Mascolo sitzt die linke Innenexpertin Petra Pau da gegenüber vom grünen Nachwuchsplatzhirsch Robert Habeck und Maaßens einzigem Verteidiger im Gesprächskreis, Paul Ziemiak von der Jungen Union. Kein rechter Kettenhund vom Schlage AfD im Studio Berlin Adlershof, ja noch nicht mal ein rhetorikkursgeschultes Sturmgewehr der FDP. Und genau so geht es nach einem aufregend futuristischen „Tatort“ am gleichen Standort auch zu im derzeit wichtigsten deutschen Talkformat.

Der zum gewöhnlichen MdB geschrumpfte SPD-Kanzlerkandidat 2017 poltert im gewohnten Schulz-Singsang, „Herr Maaßen“ müsse gehen, „und ich verspreche, er wird gehen“, erteilt der Ultima Ratio Koalitionsbruch aber verzagt eine Absage. Petra Pau, beim Vorgänger noch selbst unter VS-Beobachtung, hält dem Nachfolger vor, im Fall Amri „gelogen und betrogen“ zu haben, fordert indes nicht wie üblich die Schließung des gesamten Amtes.

Ausgerechnet der Realo Habeck fordert, das „Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Institutionen der Bundesrepublik“ nicht zu erschüttern, während sein politischer Antipode Ziemiak bittet, die Entscheidung über den Verfassungsschutzchef bitte der Regierung zu überlassen.

Versteinertes Publikum im Studio

Selten zuvor hat das Ersatzparlament der Mediendemokratie ein so brennendes Thema derart unterkühlt, ja schockgefroren diskutiert. Als der Jungunionist Ziemiak dem doppeltalten Sozi Schulz ganz zu Beginn der Sendung mit Schlafzimmerblick vorwirft, bloß parteipolitisches Kapital aus dem Fall ziehen zu wollen, blitzt ihn der Angesprochene zwar mit Worten an, nach den Festspielen vom Sommer veranstalte die CDU/CSU nun dieses Theater, anstatt einfach Politik zu machen. Doch viel mehr Zunder wird nicht entfacht.

Kein Wunder, dass der allererste Applaus nach geschlagenen 45 Minuten durchs versteinerte Publikum raschelt, als jemand den Minimalkonsens aller Menschen mit Verstand in eine Suada gegen den Antisemitismus gießt. Kein Wunder auch, dass die erstaunlich zahme Gesprächsleiterin dem Gewissensjournalisten Georg Mascolo das Finale überlässt, in dem er „Konsens und Frieden“ fordert, wenngleich für die Gesellschaft, nicht Talkshows. „Als schöne Hoffnung und Schlusswort einer Debatte, in der wir uns gut zugehört haben“, dankt ihm Anne Will für die warmen Worte und leitet zu den „Tagesthemen“ weiter.

Bei allem Ärger über Talkshowprofs oder Streitunkultur: Nächstes Mal dürfen gern mal wieder ein paar Zyniker Zankäpfel servieren. Wenn’s sein muss, sogar Alexander Dobrindt.

Jan Freitag

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