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Da lacht das Zuschauerherz, wenn deutsche Biathleten - Simon Schempp v.l.n.r.) Arnd Peiffer, Benedikt Doll und Erik Lesser - Medaillen gewinnen.

© dpa

Tischtennis? Tennis? Tour de France": TV interessiert sich nur für erfolgreichen Sport

Biathlon nur zum Beispiel: Das Fernsehen bevorzugt Sportarten, die in der Erfolgsspur sind. Dann stimmen auch die Quoten

Sonnenanbeter müssen das gesamte Wochenende über sehr stark sein. Die ARD-„Sportschau“ sendete am Samstag von 8 Uhr 50 bis 18 Uhr Wintersport, um dann nahtlos mit der Bundesliga-„Sportschau“ die Ballfreunde zu befriedigen. Vergleichbares Programm am Sonntag: Zwischen 8 Uhr 40 und 17 Uhr 25 im Ersten Übertragungen von Biathlon, Curling, Eiskunstlauf, Eisschnelllauf, Langlauf, Rodeln, Ski alpin, Viererbob, Skispringen, um 18 Uhr reguläre „Sportschau“ mit dem Wichtigsten vom (Winter-)Sport vom Wochenende.
Das muss so und darf nicht anders sein? Ulrich Wilhelm, Intendant des Bayerischen Rundfunks und in der ARD für Sportrechte zuständig, sagt zur Begründung: „Sportübertragungen sind für uns öffentlich-rechtliche Sender unerlässlicher Bestandteil unseres Auftrages.“ Und Biathlon ist ein unerlässlicher Bestandteil des öffentlich-rechtlichen Erfolgs. In der Vorsaison feierten im Schnitt mehr als 3,7 Millionen „Puschen-Fans“ die Siege von Laura Dahlmeier und anderen deutschen Heldinnen und Helden. Im Wintersport-Paket zieht Biathlon solche Kracher wie Rodeln und Bob mit.
Denn das muss zusammenkommen, wenn eine Sportart neben dem Fußball, der immer und überall Volks- und Fernsehsport ist, breit auf den Bildschirm kommen will: ein Wettbewerb, den das Medium mit allen technischen Finessen „fernsehpopularisieren“ kann und der von deutschen Chancen aufs Treppchen angetrieben wird. Stimmt zudem der prominente Rahmen, kommen Curling bei Winter-Olympia-TV und Bogenschießen bei Sommer- Olympia zu Millionenquoten.

Sport muss wie "Tatort" sein

Die Verknüpfung von Sport und Fernsehen zum Hauptprogramm muss die Ingredienzen eines „Tatorts“ haben, Spannung, Drama, ausgemachter, aber ungewisser Ausgang. Der Puls des Zuschauers muss einfach höher schlagen können. Spielt aber – nur zum Beispiel – der Viertplatzierte gegen den Siebten in der Basketball-Bundesliga, dann wird diese Partie irgendwo übertragen oder gestreamt, hat aber keinerlei Chance auf massentaugliche Beachtung bei ARD, ZDF oder RTL. Gerade hat das Erste die Übertragungslizenz für die Rennserie DTM an Sat 1 weitergereicht – nach 18 Jahren und schmaler Resonanz. Sat 1 muss pro Saison nur drei Millionen Euro für die TV-Rechte bezahlen, womit der TV-Wert weit unten markiert ist (die ARD-Rechte für die Bundesliga-„Sportschau“ kosten 134 Millionen). Das quotensüchtige Fernsehen ist quotenkapitalistisch, ja brutal genug, eine Sportart in der Krise schnöde zu ignorieren; schon der Niedergang – siehe Tennis – wird vielleicht noch bejammert, jedoch nicht mehr über längere Programmstrecken begleitet. Und wenn bei der Tour de France gedopt wird, bis die Reagenzgläser platzen, dann ist das Buh so groß wie das Bravo vorher groß war. Sportfernsehen ist Nassauertum, Verlierer sind nur im Maßstab von größter Emotion und Gänsehaut-Moment willkommen. Sonst werden sie unter „ferner liefen“ wegsortiert.

Sport folgt TV-Wünschen

Sport im Fernsehen, genauer: Fernsehsport braucht Aufregung und Adrenalin. Dafür wird wie beim Tischtennis über die Regeln nachgedacht, um, so viel Selbstanklage muss offenbar sein, die Langeweile, die der Sport auf dem Bildschirm verbreitet, zu beenden. Aufschläge entschärfen, Dauer eines Satzes zeitlich limitieren, solche und weitere Maßnahmen sollen den Wettkampf intensivieren. Was hier in der Ausführung harmlos klingt, wird bei anderen Sportarten zur Lebensgefahr. Gerade sind zwei Abfahrtsläufer, der Franzose David Poisson und der Deutsche Max Burkart, tödlich verunglückt. Steilere Hänge, schärfere Kanten, mehr Eis auf der Piste – die alpine Abfahrt war immer schon eine Risikosportart. Was passiert, wenn die TV-Übertragung einen Todessturz zeigt? Da kommt bestimmt die Debatte auf , ob solche Bilder zur fröhlichen Pistengaudi passen, die das Medium so gerne zelebriert. Dabei müsste die Diskussion an dem Punkt ansetzen, wo Veranstalter, Verbände, Sportler und Sender an der Gefahrenschraube drehen, damit der Ritt über den Hahnenkamm noch spektakulärer wird. Wetten, dass ein Formel-1-Rennen auch deshalb verfolgt wird, weil die Crashs in Zeitlupe so atemberaubend sind?
Sport im Fernsehen zeigt Sport in seiner höchsten Erregungskurve, auf dem Gipfel seines Aufmerksamkeitspotenzials, im Zenit der (deutschen) Siegesgewissheit. Darum zeigen ARD, ZDF und auch der private Kanal Eurosport mehr als 2000 Stunden Wintersport zwischen November und März, das meiste davon live, manches im Stream oder in der Mediathek. Darum werden für die TV-Rechte Abermillionen Euro lockergemacht. Die beiden öffentlich-rechtlichen Sender zahlen für die vier Olympischen Spiele von 2018 bis 2024 insgesamt 221,5 Millionen Euro an den Rechtehändler Discovery. Drei der Ereignisse – Pyeongchang, Peking, Tokio – finden in Asien und damit im Nacht-TV statt. Olympia, beteuern die Senderchefs, gehört wie EM- und WM-Fußball zur öffentlich-rechtlichen DNA.

Amazon macht Bundesliga-Radio

Spitzensport ist Fernsehprogramm geworden, es drängt sich der Eindruck auf, Spitzensport findet der ökonomischen Bedingungen wegen nur dort und dann statt, wo und wenn Fernsehkameras sind. Mehr noch: Sport wird zum Vehikel für ganz andere Interessen. Online-Gigant Amazon überträgt die Fußball-Bundesliga im Radio-Stream. Das Kalkül besteht darin, dass mit der Bundesliga neue Kunden für die Amazon-Prime-Mitgliedschaft gewonnen werden sollen. Spitzensport ist für Fernsehen und Zuschauer megainteressant, eine Sportart in der Krise muss selber zusehen, wie sie für die Medien und hier für das zuschauerattraktivste Medium, das Fernsehen, wieder interessant wird. The winner takes it all.

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