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Sprache und Vielfalt: Mitgemeint? Mitreden!

Eine gendersensible und gerechte Sprache zu sprechen und schreiben, ist nicht leicht. Leitfäden geben Hilfestellung – und rufen Kritiker auf den Plan.

Man kann sich endlos streiten über Wörter, Wendungen, Wirrnisse der Sprache. Ein Beispiel aus der Journalistenzunft: Eine Tagesspiegel-Kollegin mit Ost-Biografie war nach der Wende zutiefst erstaunt, als sie von West-Journalistinnen gemaßregelt wurde. Sie möge sich doch bitte, verlangten die West-Kolleginnen, nicht mehr als „Redakteur“ bezeichnen, sondern als „Redakteurin“!

Noch heute klingt Mitleid in der Stimme der Kollegin an, wenn sie darüber spricht. „Und das sagten mir Frauen aus Bundesländern, in denen es gar nicht selbstverständlich war, dass Frauen mit Kindern überhaupt arbeiten!“ Sie dagegen habe immer ihr eigenes Geld verdient und in der DDR ganz selbstverständlich Arbeit mit Kindern vereinbart. Deshalb werde sich auch weiter so bezeichnen wie sie möchte, und zwar als, bitteschön, „Redakteur“!

Aus heutiger Diversity-Sicht waren die West-Kolleginnen sprachlich weiter, die Ost-Journalistin dagegen hatte die Praxis auf ihrer Seite. Was ist wichtiger, Sein oder Bewusstsein? Sicher ist: Beides wirkt aufeinander ein. Es ist nicht egal, wie man spricht – aber eine noch so korrekte Sprache nützt wenig, wenn die Verhältnisse dem entgegenstehen.

Bei den Diversity-Themen Behinderung, sexuelle Orientierung oder ethnische Herkunft geht es meist um einzelne Wörter und Wendungen, die von den Betroffenen als ausgrenzend empfunden werden. Beim Thema Gender ist die Lage komplizierter, weil es um ein grundlegendes Strukturelement der deutschen Grammatik geht, das „generische Maskulinum“. Wenn von „Mitarbeitern“ die Rede ist, sind die Mitarbeiterinnen mitgemeint; wenn dagegen die „lieben Mitarbeiterinnen“ angesprochen werden, sind grammatikalisch gesehen keine männlichen Mitarbeiter im Raum.

Die Beidnennung nervt

Studien zeigen, dass sich Versuchspersonen, die von „Mitarbeitern“ hören, tatsächlich eher Männer vorstellen – die Mitarbeiterinnen fühlen sich also zu Recht sprachlich unsichtbar gemacht. Was tun? Eine Strategie, die Leitfäden zur geschlechtersensiblen Sprache empfehlen, ist die „Sichtbarmachung“ beider Geschlechter: über Beidnennung („Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“), Splitting mit Schrägstrich („der/die Mitarbeiter/in“, „einige Mitarbeiter/inn/en) oder das Binnen-I („der/die MitarbeiterIn“, „die MitarbeiterInnen“).

Alternative Formen sind der „Gender-Gap“ („Mitarbeiter_innen“) oder das „Gender-Sternchen“ („Mitarbeiter*innen“), die auch Menschen abbilden sollen, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen. Die zweite Strategie neben der Sichtbarmachung ist die „Neutralisierung“, über Ausdrücke wie „Zuhörende“, „Lehrkraft“ oder „der einzelne Mensch“ statt „der Einzelne“. An den Universitäten hat sich etwa die Bezeichnung „die Studierenden“ durchgesetzt. Im Singular allerdings ist der Schrägstrich unvermeidbar – „ein/eine Studierende/r“ – und Relativsätze sind schwer erträglich: „der/die Studierende, der/die seine/ihre Unterlagen nicht dabei hat“.

In Gesetzestexten lässt sich eine konsequente Sichtbarmachung oder Neutralisierung durchhalten – in journalistischen und literarischen Texten oder spontanen Gesprächen kaum. Niemand möchte das Gefühl haben, dass er oder sie erst eine Leitlinie lesen muss, bevor er oder sie (schon an dieser Stelle nervt die Beidnennung) den Mund aufmachen darf. Schnell wird aus der Angst vor einer – im Wortsinne – „Be-vor-Mundung“ eine ausgemachte Aggression, wie sie etwa der Statistikprofessor Walter Krämer in der aktuellen, dem Thema „Gender“ gewidmeten Ausgabe des Magazins „Forschung & Lehre“ ausagiert.

„Selten hat eine vergleichsweise kleine Gruppe von Fanatikern dem Rest der Gesellschaft derart erfolgreich ihre Meinung aufgezwungen wie die modernen Verfechter der sprachlichen Geschlechtsneutralität“, schimpft er. Dagegen hält Lann Hornscheidt von der Humboldt-Universität „androgendernde Maskulina als allgemein-menschliche Benennungsformen“ für diskriminierend und fragt: „Was ist umständlich oder gar nicht lesbar an Binnen-I- oder Unterstrich-Formen?“

Bewusstsein ist wichtig, Formalismus schadet

Hornscheidt selbst möchte übrigens weder als „Professor“ noch als „Professorin“ bezeichnet werden, sondern geschlechtsneutral als „Professx“, ihre Homepage empfiehlt, sie mit „sehr geehrtx Professx“ anzuschreiben. Man darf vermuten: Lann Hornscheidt und Walter Krämer werden sich nie einig werden. Unternehmen und Medien dagegen haben ein Interesse daran, sprachliche Wege zu finden, mit denen alle leben können: die Gruppen, die sich zu wenig oder nicht angemessen repräsentiert sehen, und diejenigen, die mit der Gewohnheit oder der Schönheit der Sprache argumentieren.

Oder auch schlicht mit ihrer Verständlichkeit: Weniger gebildete oder sprachlich behinderte Menschen verstehen möglicherweise Ausdrucksweisen nicht, die fairer, aber auch komplizierter sind – und fühlen sich ihrerseits ausgegrenzt. Der Leitfaden „ÜberzeuGENDERe Sprache“ der Gleichstellungsbeauftragten der Universität Köln ermutigt explizit zu einem kreativen Umgang mit den sprachlichen Formen.

Bewusstsein ist wichtig, Formalismus schadet. Denn letztlich geht es um die Haltung hinter der Sprache. Neugier und Offenheit passen allemal besser zum Diversity-Gedanken als Selbstgefälligkeit und Aggression auf der einen Seite und Besserwisserei auf der anderen. Wenn die eine dem anderen wertschätzend und freundlich begegnet, dann darf ihm oder ihr auch mal ein falsches Wort rausrutschen.

Wenn in einem journalistischen Text Ärztinnen und Krankenpfleger zu Wort kommen, darf auch mal ein generisches Maskulinum die „Patienten“ schlechthin bezeichnen. Und wenn eine gestandene Journalistin sich gerne als „Redakteur“ bezeichnen möchte: Bitteschön!

Den Leitfaden „ÜberzeuGENDERe Sprache der Universität Köln können Sie herunterladen unter: www.gb.uni-koeln.de

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