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"Ad Vitam"

© Ivan Mathie 2017

Sci-Fi-Krimi "Ad Vitam": Guter alter Todestrieb

Da kommt Sigmund Freud wieder ins Spiel: Der Sci-fi-Krimi „Ad Vitam“ auf Arte hält unserem Gesundheitswahn den Spiegel vor.

Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Doch wie sähe unser alltägliches Leben aus, wenn man sich für jedes Vorhaben unendlich viel Zeit nehmen könnte? Wäre Unsterblichkeit ein Segen oder ein Fluch? Eine sechsteilige Arte-Serie beantwortet diese alte Frage auf eine neue und ziemlich beunruhigende Weise. „Ad Vitam“, lateinisch „zum Leben“, heißt der dystopische Entwurf einer nahen Zukunft, die den Tod medizinisch überwunden hat.

Im Science-Fiction-Genre ist dieses Motiv wohl bekannt. Doch die Welt dieser sechsteiligen Miniserie unterscheidet sich kaum von unserer Gegenwart. Es gibt keine fliegenden Autos und keine schillernden technologischen Wunderwerke. Mit Ausnahme jener seltsamen weißen Särge, in die sich Menschen wie Vampire von Zeit zu Zeit zurückziehen: um zu „regenerieren“. Dank dieser biogenetischen Jungbrunnen sind Frauen und Männer das organische Pendant zur erneuerbaren Energie geworden. Friedhöfe verschwanden aus der Landschaft. Das letzte Altersheim schloss schon vor über 60 Jahren.

Nicht alle finden diese schöne neue Welt wirklich toll. Unerklärliche Selbsttötungen junger Menschen schockieren die Öffentlichkeit. Warum verzichteten sie freiwillig auf das göttliche Geschenk der Unsterblichkeit? Antworten auf die Frage, warum Jugendliche sich „radikalisieren“, sucht der Polizist Darius (Yvan Attal). Hilfe erhofft er sich von Christa (Garance Marillier), einer 24-Jährigen, die einen rituellen Massensuizid überlebte und seither in einer psychiatrischen Klinik zwangstherapiert wird. Die Ermittlungen des ungleichen Paares werfen ein zunehmend düstereres Licht auf die vermeintlich sorglose Welt der Unsterblichen.

Das ewige Leben, so stellt sich heraus, kann man nur im Untergrund sabotieren. Mit ihrem buchstäblich ungeschminkten Auftritt verkörpert Hanna Schygulla eine subversive Hohepriesterin der Endlichkeit. Unter ihrer Ägide wird die Sterbebegleitung zur frenetischen Rave-Party. Diese provokante Szene bildet jedoch die Ausnahme. „Ad Vitam“ stellt die Ordnung unseres heutigen Lebens mit subtilen Beobachtungen auf den Kopf.

So spricht der Polizist Darius einmal mit einem abgeschieden vor sich hin lebenden Kauz, dessen Schäferhund auf den sehr seltsamen Namen „21“ hört. Ein Blick auf die Polaroid-Fotos seiner 20 vierbeinigen Vorgänger deutet an, wie man Friedrich Nietzsches „ewige Wiederkehr des Gleichen“ nun auch verstehen kann. In der gefühlten Ewigkeit werden Schrullen, Ticks und Neurosen gnadenlos mit konserviert. Willkommen in der Hölle.

Ist es denn Zufall, dass Fantasien über ewiges Leben kurz hintereinander von der dritten Fernseh-Serie aufgegriffen wurden? Nach der aufwendigen Netflix-Produktion „Altered Carbon“ und dem Arte-Mehrteiler „Im fremden Körper“ setzt der französische Autor und Regisseur Thomas Cailey hier allerdings weniger auf Genre-Elemente. Dank erzählerischer Raffinesse lässt seine Serie erahnen, wie quälend die Endlosschleife des ewigen Lebens insbesondere für jene Kinder ist, die Unsterbliche in die Welt setzten. Denn die Aussicht, bis in alle Ewigkeit Sohn oder Tochter zu sein, ist nicht wirklich prickelnd.

Die Sehnsucht nach einem lebenswerten Leben, so die verstörende Pointe dieses intelligenten Science-fiction-Krimis, lässt den guten alten Todestrieb von Sigmund Freud dann doch wieder aufleben. Nahtoderfahrungen und illegale Fight Clubs sind der letzte Schrei. Der charismatische Franzose Yvan Attal verkörpert einen 119 Jahre alten Ermittler, der mit brachialen aber ungemein sympathischen Methoden gegen die Routine der Ewigkeit ankämpft. „Ad Vitam“ ist ein durchdachter Gesellschaftsentwurf, der unserer heutigen Welt den Spiegel vorhält.
Diese TV-Serie lässt erahnen, was es heißt, wenn Nachhaltigkeit zur Bürde wird.

„Ad Vitam“, Donnerstag, Arte, 20 Uhr 15, die ersten beiden von
insgeamt sechs Folgen

Manfred Riepe

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