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Im Monsterkabinett vernehmen Karow (Mark Waschke) und Rubin (Meret Becker, Mitte) die junge Nele (Lilly Menke), eine Bekannte von Tom Menke.

© rbb/Conny Klein

RBB-"Tatort": Asymmetrische Ermittlungen im Darkroom menschlicher Existenz

„Tiere der Großstadt“: Der "Tatort“ des Rundfunks Berlin-Brandenburg wird zum Schmerzenssound.

Berlin, das ist der Ort in der Möglichkeitsform. Menschen können durch die Natur, durch Wildschweine sterben, Menschen können durch Technik, durch Roboter sterben. Aber was so natürlich und so futuristisch klingt, ist es nicht. Willkommen beim „Tatort“, willkommen bei den „Tieren der Großstadt“.

Beate Langmaack hat das Drehbuch geschrieben, eine Größe im Fernsehgeschäft. Kriminalstoffe für „Bella Block“, „Tatort“, Fernsehfilme wie „Blaubeerblau“, „Guten Morgen, Herr Grothe“, immer geht der Blick tief hinein in die Herzkammern, in den Darkroom menschlicher Existenz. „Tiere der Großstadt“ sind dann verzweifelt unbehauste Berliner und eine Menagerie an Wildschweinen, Hunden, Katzen, Tauben, Krähen, Katzen und einem Fuchs.

Tom Menke (Martin Baden) liegt tot in seinem „Robista“-Coffeeshop auf dem Ku’damm, war es ein Unfall bei der Wartung des Barista-Roboters? Seine Frau Kathrin (Valery Tscheplanowa) scheint unberührt, ihre unbedingte Liebe gilt ihren Katzen, die Wohnung ist mit Streu bedeckt. Carolina Gröning (Tatiana Nekrasov) liegt tot im Grunewald, offenbar verblutet nach einem Wildschweinbiss. Auch ihre Ehe scheint unter großen Spannungen gelebt worden sein, Reno Gröning (Kai Scheve) und sie beklagten den frühen Tod des ersten und einzigen Kindes.

Asymmetrische Ermittlungen

Die Kommissare gehen getrennte Wege, sie ermitteln asymmetrisch, ehe sich am Ende erstaunliche Parallelen auftun. Nina Rubin (Meret Becker) übernimmt die Ermittlungen im Fall Gröning, Robert Karow (Mark Waschke) konzentriert sich auf den Todesfall Menke. Die Figuren der Fahnder im RBB-"Tatort" werden von Autorin Langmaack in der bisherigen Spur gehalten. Rubin ist vielleicht noch etwas „alleiniger“, Karow reagiert seine Launen aggressiver denn je an der Hospitantin Anna Feil (Carolyn Genzkow) und an Assistent Mark Steinke (Tim Kalkhof) ab. Karow kann „Superarschloch“ – zugleich ein in seiner Rätselhaftigkeit sehr interessierender Mensch.

Karow hat jetzt eine Sprachassistentin in seiner Wohnung, was für Humoreinsprengsel sorgt, und dann liegt da ein schwarz umrandeter Briefumschlag. Kann der Misanthrop Gefühl? Gerichtsmedizinerin Nasrin Reza (Maryam Zaree), die bei Karow raffiniert wegen eines Dates anfragt, kann von Glück sagen, dass sie ein Küsschen auf den Mund bekommt. Und Kommissarin Rubin monologisiert ihren Auto fahrenden Sohn schier zu Tode, bis der sie aus dem Wagen schmeißen will.

Lassen wir das alles mal beiseite, selbst den Krimi. „Tiere der Großstadt“ hat eine Trias aus Emotion, Bildsprache und Soundtrack im Angebot, die dergestalt in der ARD-Krimireihe selten ist. Regisseur Roland Suso Richter lässt die Kamera durch ein verwischtes, ausgebleichtes Berlin gleiten, wo Menschen und Dinge kaum klare Konturen haben, er zoomt die Handlung zwischen Robot-SF und Wildschwein-Steinzeit auf die Menschen. Auf das, was keine Künstliche Intelligenz, was keine Archaik, was keine Technik und kein Tier zu beheben weiß, weil es originär menschlich ist: Einsamkeit. Einsamkeit, die alles auffressen kann. Regisseur Richter sieht in Gesichter, die in die Irrlichter der Großstadt schauen. Atmosphäre geht über Spannung.

Erstklassiges Ensemble

Meret Becker und Mark Waschke grundieren und fundieren ihre Charaktere wie stets im Berliner Dunkelblau-Grau, überzeugend ist ihr Spiel, weil es aus den Figuren kommt. Sie sind bei sich. Aber das Casting des Ensembles ist noch bemerkenswerter. Valery Tscheplanowa, Schauspielerin des Jahres 2017, als verlassene Kathrin Menge und Kai Scheve als trauernder Bäcker Reno Gröning bringen eine Schwere in die Fälle, die über übliche Motivlagen hinausreicht.

Der Berliner Menschenzoo kennt weitere Exemplare. Da ist der greise Albert, gespielt vom fast 90-jährigen Horst Westphal, der am Ku’damm lebt und den Coffeeshop-Tatort im Auge hatte. In seiner in früherer West-Berliner Manier eingefrorenen Wohnung spricht er mit seinem Raben und erzählt Karow von seinen Beobachtungen, die von schwankendem Wahrheitsgehalt sind. Bloggerin Charlie (Stefanie Stappenbeck) lebt outdoor. Sie berichtet gut gelaunt in ihrem Videoblog über Dinge, die man bei Streifzügen durch die Natur gut gebrauchen kann. Es hätte nicht jede Figur im Berliner „Tatort“ gebraucht.

Aber unbedingt braucht es für diesen poetischen Film die visuell herausragende Kamera von Max Knauer und die Musik von Nils Frahm. Sie spricht, wenn die Menschen schweigen, ihre Loops und Synthie-Improvisationen verschmelzen zum Schmerzenssound der Großstadt.

Und selbst der Roboter, pardon: die Zeitarbeitsroboterdame Gisela weiß, was sie zu sein hat: unheimlich.

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